Es passiert nicht oft, dass drei Weine in einem Monat so dermaßen ins Schwarze treffen, dass sie mich noch Tage später beschäftigen. Diese drei Kandidaten – so unterschiedlich sie auch sind – haben genau das im April geschafft: Energie. Tiefe. Seele. Und davon hatten diese drei Flaschen mehr als genug. Was für ein Monat!
Max Kaindl, 05. Mai 2025
Lesezeit etwa 4 Minuten
Collector’s Gem –
Meine neuesten Entdeckungen
Hors-Série 2020 – Champagne Chartogne-Taillet
Was für ein Charakterschaum! Ein Blanc de Blancs, der dir nicht einfach ins Gesicht springt, sondern sich mit jeder Sekunde im Glas mehr aufbaut. Die Nase: kühl, klar und komplex. Zarte Zitrusnoten, etwas Limettenabrieb, grüner Apfel, leicht geröstete Haselnüsse, dazu diese rauchig-kalkige Tiefe, die an nasse Kreide erinnert. Im Hintergrund ein Hauch Salbei und Fenchelgrün – fast meditativ. Am Gaumen dann kompromisslos trocken, strukturiert und mit einer zupackenden, salzigen Mineralität. Die feine Perlage pulsiert unter der Oberfläche, während Brioche, Quitte und Zitruszesten aufblitzen. Die Säure ist perfekt balanciert, nicht aggressiv, aber straff und anregend. Das Finish? Präzise wie ein Skalpell, mit langem, salzigem Nachhall und ganz feiner Kräuterwürze. Ein Champagner mit Tiefgang, Haltung und einem klaren Statement: Herkunft schlägt Make-up.
Hintergrund: Alexandre Chartogne ist kein bloßer Schüler von Anselme Selosse – er ist sein legitimer Erbe. In Merfy keltert er auf biodynamischer Basis Champagner, die nicht gefallen, sondern fordern. Hors-Série ist sein radikalstes Statement. Wie schon Selosse glaubt Chartogne nicht an technische Perfektion, sondern an Handschrift und Herkunft. Der Weinberg ist sein Kompass. Und genau das schmeckt man: ein Champagner mit Ecken, Kanten und Tiefgang. Kein Blender – ein Denker im Glas.


Silvaner Grauer Stein 2022 – Carsten Saalwächter
Silvaner auf Speed. Und in Stein gemeißelt. In der Nase geht sofort das Kopfkino an: feine Reduktion, nasser Kies, rauchige Würze. Dann blitzen Amalfi-Zitrone, gelber Pfirsich und etwas grüne Birne durch, ergänzt von einer ganz feinen Kräuternote – ein Hauch Kerbel und Zitronenthymian. Mit Luft kommt mehr Frucht, aber nie aufdringlich. Am Gaumen dann das große Staunen: Das ist kein netter Silvaner – das ist eine Naturgewalt. Kristallin, schlank, aber mit gewaltigem inneren Druck. Die Mineralität wirkt wie gemeißelt, die Textur seidig-feinkörnig. Eine salzige Linie zieht sich von Anfang bis Ende, begleitet von einer Säure, die vibriert statt zu dominieren. Der Wein wirkt karg – aber nie dünn. Er hat Substanz, Spannung und Länge. Und das Finish? Salzzitrone, Kreide, Zitronenschale. Minutenlang. Ein Wein zum Meditieren. Oder einfach nur zum Genießen über Tage.
Hintergrund: Carsten Saalwächter hat in kürzester Zeit geschafft, wovon andere ein Leben lang träumen: Er ist anerkannter Terroir-Dompteur. Gelernt bei den Besten – von Ziereisen bis Domaine des Lambrays – vereint er im Grauen Stein Burgunder-Denke mit rheinhessischem Kalk. Der Graue Stein stammt von einer winzigen Parzelle mit fast 50 Jahre alten Reben auf purem Kalk. Der Ausbau im gebrauchten Holz verleiht Tiefe ohne Make-up. Dieser Silvaner ist längst kein Geheimtipp mehr – sondern ein Maßstab.
Grand Vin de Château Latour 1978 – Château Latour
Nicht groß – aber ganz, ganz großartig. Blind eingeschenkt, keine Ahnung, was da kommt. Die Nase: leise, vielschichtig, wie ein altes Notizbuch voller Geschichten. Getrocknete Pflaumen, Zigarrenkiste, Waldboden, feuchtes Laub, ein Hauch Trüffel. Und dann diese Note von Schwarztee und Minze, ganz dezent. Am Gaumen dann völlige Stille – im besten Sinne. Alles ist weich, seidig, vollkommen verschmolzen. Keine Tannine mehr, sondern Textur. Die Frucht hat sich zurückgezogen, die Würze bleibt. Es ist ein Wein in der dritten Lebensphase – ohne Kraft, aber mit Aura. Der Nachhall? Erdige Tiefe, sanft, anhaltend, fast ätherisch. Ein stiller Riese. Kein Wein, der imponieren will. Aber einer, der dich mitnimmt. Und nicht mehr loslässt. Ein großer Dank geht hier an den Spender Nedjelko (Neno) Mrcela vom Geisenheimer Fine Wine Händler WeinArt.
Hintergrund: Château Latour gehört zur Elite. Punkt. Premier Grand Cru Classé seit 1855, ikonischer Cabernet-lastiger Stil, absolute Qualitätsfanatiker. Das Terroir: Flussnah, kiesreich, tiefgründig. Die Reben: zum Teil über hundert Jahre alt. Das Team: 70 Profis, die jeden Rebstock wie ein Bonsai behandeln. Kein anderer Premier Cru ist so konsequent, so kompromisslos. Kein Wunder, dass Latour auf den en primeur-Zirkus verzichtet – sie liefern nur aus, was fertig ist. Und was fertig ist, ist oft einfach Legende.
