Es gibt Orte, die einen einfach nicht mehr loslassen. Die einen tief im Inneren berühren, weil sie so viel mehr bieten, als man es je erwartet hätte. Retzstadt ist genau so ein Ort. Als ich Ende August, kurz vor der VDP-Vorpremiere der Großen Gewächse, zum ersten Mal das Weingut May besuchte, war ich sofort gefangen. Versteckt in einem beschaulichen Seitental des Mains, nördlich von Würzburg, taucht man hier in eine Welt ein, in der die Zeit anders tickt. Bei den Mays verschmelzen Tradition und Vision nicht nur, sie gehen Hand in Hand – und das spürt man in jedem Moment.

Max Kaindl, 14. Oktober 2024
Lesezeit etwa 9 Minuten

Ein Tag bei May:
Alte Reben, neue Visionen und ein Kniebrecher

Als ich Ende August in Retzstadt auf dem Weingut May ankam, wusste ich, dass mich etwas Besonderes erwartete. Aber dass ich mitten in ein wahrhaftiges Chaos eintauchen würde, war mir nicht bewusst. Benedikt, den ich eigentlich ganz entspannt zu einer Weinbergstour erwartet hatte, war tief in den Vorbereitungen für die bevorstehende Ernte. 2024 versprach ein schwieriges Jahr zu werden – das Wetter war unberechenbar, und die durch den verheerenden Spätfrost im Frühjahr stark dezimierten Trauben verlangten höchste Aufmerksamkeit. Doch das war nur der Anfang. Zu Hause warteten Frau und ein kleines Kind auf ihn, und obendrein befand sich die Wohnung auch noch im Umbau. Stress pur – und doch empfing er mich mit einem Lächeln.

Benedikt ist ein junger Mann voller Energie. Er verkörpert das, was man sich von der neuen Generation eines Spitzenweinguts erhofft: Neugier, Tatendrang und das unbedingte Streben nach Perfektion, ohne dabei die Wurzeln zu vergessen, die tief in der fränkischen Erde verankert sind. „Bereit für eine Tour?“, fragte er mich.

Es schien fast, als würde ihn nichts so leicht aus der Ruhe bringen, selbst inmitten dieses Trubels. Mit seiner lässigen Art nahm er mich gleich mit auf eine Tour durch die Weinberge – eine willkommene Abwechslung für ihn und ein unvergessliches Erlebnis für mich.

Die Lagen der Mays: Wo der Wein Charakter annimmt

Unsere Route führte uns vom Rothlauf über den Benediktusberg, den Langenberg bis hinauf zum Himmelspfad. Klingende Namen, die jedem Silvanerliebhaber die Sinne schärfen. Jeder dieser Weinberge hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen Charakter, den er an die Reben weitergibt. Es ist eine Symbiose aus Mensch, Natur und Tradition, die hier auf beeindruckende Weise gelebt wird.

Rothlauf

Der Rothlauf ist der Auftakt unserer Tour und hat gleich eine Besonderheit: Die Gewann liegt in der Lage Johannisberg bei Thüngersheim und ist bekannt für ihre roten Böden, die durch einen hohen Eisengehalt entstehen. Diese Eisenoxide verleihen dem Silvaner hier eine markante Mineralität und eine feine Würze. Die Reben sind tief verwurzelt und trotzen den kargen Verhältnissen – ein Weinberg, der dem Wein Struktur und Kraft verleiht. „Hier wächst nichts, was nicht wirklich stark ist“, erzählt Benedikt mit einem anerkennenden Nicken. Der Rothlauf bringt Silvaner hervor, die präzise, fokussiert und voller Energie sind – Weine, die nicht laut auftreten, aber lange im Gedächtnis bleiben.

Benediktusberg

Weiter ging es zum Benediktusberg bei Retzbach. Diese Lage ist eine Art „heilige Stätte“ für die Mays, und das merkt man auch. Der Boden ist hier anders – Muschelkalk dominiert, und die alten Reben, die teilweise über 40 Jahre alt sind, schöpfen tief aus dieser kalkhaltigen Erde. „Der Benediktusberg bringt Weine mit einer unglaublichen Finesse hervor“, erklärt mir Benedikt, während er eine Handvoll Erde durch seine Finger rieseln lässt. „Hier schmeckst du die Herkunft in jeder Flasche“. Die Silvaner dieser Lage sind elegant, oft etwas filigraner als die vom Rothlauf, aber mit einer unvergleichlichen Klarheit und Präzision. Der Kalkstein speichert Wasser und gibt es nur langsam wieder frei. Perfekt für die Reben, die so nicht nur die Hitze der Sommermonate überstehen, sondern auch eine gewisse Eleganz bewahren.

Langenberg

Als nächstes führte uns die Tour zum Langenberg, einer der Herzstücke des Weinguts. Mit Gewannen wie „Der Schäfer“ ist der Langenberg eine der wichtigsten Lagen für die Mays und besticht durch seine komplexen, tiefgründigen Weine. Hier ist der Boden besonders karg, fast steinig – perfekte Bedingungen für Reben, die tief wurzeln müssen, um an Nährstoffe zu gelangen. „Der Langenberg fordert die Reben heraus“, sagt Benedikt, und man spürt den Respekt, den er für diese Lage hat. Die Weine, die hier wachsen, haben eine enorme Substanz, zeigen viel Druck am Gaumen und eine Tiefe, die nur von alten Reben kommen kann. Besonders die Silvaner beeindrucken mit einer straffen Säure und einer markanten Mineralität, die sich oft erst mit etwas Reife voll entfaltet.

Himmelspfad

Der krönende Abschluss unserer Tour war der Himmelspfad, eine Lage, die nicht nur durch ihren Namen verzaubert, sondern auch durch die Weine, die sie hervorbringt. „Hier oben wachsen unsere ältesten Reben“, erzählt Benedikt stolz. Die alten Rebstöcke sind teilweise über 60 Jahre alt und geben ihre gesamte Lebenserfahrung an die Trauben weiter. Der Himmelspfad steht für Weine mit einer fast schon spirituellen Tiefe, voller Eleganz und Feinheit, aber auch mit einer unnachahmlichen Konzentration. Der Boden hier ist eine Mischung aus Muschelkalk und Lehm – eine Kombination, die den Weinen einen komplexen, vielschichtigen Charakter verleiht. Besonders der Silvaner vom Himmelspfad hat eine fast ätherische Anmutung, schwebt förmlich über dem Gaumen und bleibt doch fest mit dem Boden verbunden.

Tradition trifft Innovation: Die Kunst des Umpfropfens

Was mich dabei besonders faszinierte, war das, was Benedikt als das „Herzstück“ ihres Tuns bezeichnete: der Erhalt alter Rebanlagen. Während viele Winzer sich dafür entscheiden, ihre alten Reben zu roden und durch junge zu ersetzen, gehen die Mays einen anderen Weg. Sie haben sich dem Umpfropfen verschrieben – einer traditionellen Methode, bei der die Mays ihre bevorzugten Rebsorten wie Silvaner oder Chardonnay auf die Wurzelstöcke jahrzehntealter Reben gesetzt werden. Diese Technik ist aufwendig, kostenintensiv, braucht Geduld und verlangt ein tiefes Verständnis für die Natur. Doch das Ergebnis sind Weine, die das Beste aus beiden Welten vereinen: die Kraft und Widerstandsfähigkeit der alten Wurzeln und die Frische und Eleganz des Silvaner und Chardonnays.

„Alte Reben haben einen unvergleichlichen Charakter“, erklärt mir Benedikt, „sie geben dem Wein eine Tiefe, die du bei jungen Reben einfach nicht findest.“ Das Umpfropfen erlaubt es den Mays, diese wertvollen, alten Wurzelsysteme zu bewahren und gleichzeitig neue Wege im Weinbau zu gehen. Es ist diese Mischung aus Tradition und Innovation, die das Weingut May so einzigartig macht. Kein anderes Weingut in Deutschland, vielleicht sogar in Europa bemüht sich derart intensiv um den Erhalt alter Rebbestände. Die Mays glauben an die Kraft dieser alten Wurzeln. Hierfür mag es viele gute Gründe dafür und dagegen geben. Bewundernswert finde ich den hohen Aufwand, den Benedikts Eltern begonnen haben und er jetzt mit gleicher Leidenschaft fortführt, allemal.

Zurück im Weingut angekommen, führte mich Benedikt in den Keller. Einen Ort, der genauso viel Ruhe ausstrahlt wie die Familie May selbst. So unspektakulär wie das Kellergebäude ist auch das Prinzip der Mays. Denn hier herrscht „kontrolliertes Nichtstun“. Die Weine dürfen sich selbst entfalten, spontan vergären und nur minimal beeinflusst werden. Wenig wird gepumpt, das Meiste fließt durch Schwerkraft. Diese Philosophie spiegelt sich in jedem Fass wider. Vom großen 2400-Liter-Holzfass bis hin zu den kleineren Fässern, die fast ehrfürchtig im Halbdunkel des Kellers stehen.

Das Tasting: Silvaner in Perfektion

Der Moment, auf den ich mich besonders gefreut hatte, war das Tasting – und pünktlich dazu kam auch Rudi May hinzu. Ein Mann wie die Weine, die er kreiert: ruhig, bedacht, aber voller Tiefe und Überraschungen. Wir begannen mit den 2023er Silvanern, und was sich im Glas entfaltete, war pure Präzision. Jeder Schluck erzählte von den kargen Böden, auf denen die Reben wachsen, und der Sorgfalt, mit der sie behandelt werden. Kein Wein drängt sich auf, keiner versucht zu beeindrucken. Sie sind subtil, aber zugleich voller Charakter, wie eine leise Melodie, die im Kopf bleibt.

Doch der Höhepunkt des Tages war zweifellos der 2022er Kniebrecher. Das unumstrittene neue Falgschiff des Weinguts. Der Name ist Programm: Dieser Wein hat Kraft. Er besitzt eine Struktur, die einen innehalten lässt, und eine Tiefe, die man erst nach und nach ergründet. Es ist ein Wein, der dich fordert, aber auch belohnt. Ein Silvaner, der Grenzen verschiebt und dabei doch zutiefst fränkisch bleibt.

Wer mehr über den Wein erfahren will, dem empfehle ich den gelungenen Bericht von Felix Bodmann über die Premiere dieses einzigartigen Silvaners auf auf seinem Blog „Der Schnutentunker„.

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Tasting Notizen

Langenberg Silvaner 1G Alte Reben 2023

In der Nase zeigen sich nussige und leicht rauchige Aromen, untermalt von reifen Kernobstnoten, einem Hauch Tabak und Pfirsichhaut.

Am Gaumen entfaltet sich eine saftige, trockene Frucht, begleitet von feiner Säure und einer spannenden Textur. Nussige Nuancen und subtile Vanilletöne harmonieren mit einer salzig-kreidigen Mineralik und einem Hauch von Algen.

Das Finish ist lang und lebendig, mit viel Substanz und feiner Würze. Ein Wein mit Energie und Tiefgang.

Benediktusberg Silvaner 1G 2023

In der Nase zeigt sich ein fester, nussiger Duft mit rauchigen und buttrigen Noten, begleitet von Wurzelgemüse, Champignons und dezenten gelben Früchten.

Am Gaumen kraftvoll und herb-saftig, mit nussigen, hefigen und speckigen Aromen, die sich nachhaltig entfalten. Die feine Säure und leichte Kräuterwürze sorgen für Spannung.

Im Finish bleibt der Wein mineralisch, speckig und pflanzlich, mit einem nussigen, frischen Abgang – aktuell noch unentwickelt, aber vielversprechend.

Der Schäfer Silvaner 1G 2023

In der Nase zeigt sich der Wein intensiv mit holzwürzigen, nussigen Noten, reifen Birnen, feinem Wurzelgemüse und einem Hauch von Butter und Bienenwachs.

Am Gaumen tritt eine reife, saftige und trockene Frucht auf, die von viel Schmelz und nussig-holzigen Aromen begleitet wird. Vegetabile Noten und dezenter weißer Pfeffer sorgen für Spannung.

Das Finish ist lang, kreidig-salzig und unglaublich mineralisch, mit rauchigen Anklängen und einem festen, würzigen Abgang.

Himmelspfad Silvaner GG 2023

In der Nase trifft nussiger Duft auf erdige Waldpilze und eine Prise Meeresfrüchte – warm und dezent fruchtig, mit einem Hauch floraler Noten.

Am Gaumen saftige, klare Frucht, leicht nussig und vegetabil, fein gewürzt mit Kreide, Salz und weißem Pfeffer. Die Säure ist präzise, das Holz perfekt eingebunden. Rauchige und speckige Nuancen verleihen Tiefe, Zitruszesten Frische.

Im Finish beeindruckt der Wein mit reifem Saft, subtiler Würze und viel mineralischer Energie. Ein Wein voller Kraft, aber ohne Schwere – großartig!

Rothlauf Silvaner GG 2023

In der Nase entfaltet sich ein würziger Duft von Meeresfrüchten, gelben Früchten, Kapern, getrockneten Kräutern, Curry und einer dezenten Pilznote, begleitet von mineralischen Akzenten.

Am Gaumen straff und elegant, mit saftiger Frucht, feinen Kräutern und einem Hauch von Mandeln und Pinienkernen. Die Säure ist lebendig, begleitet von vegetabilen und leicht rauchigen Aromen. Die mineralische, salzige Note verleiht Tiefe und Herkunft.

Das Finish ist lang und vielschichtig, mit klarer Struktur und anhaltender Komplexität. Großartig!

Himmelspfad Silvaner GG 2018

In der Nase zeigt sich ein herber, vegetabiler Duft mit feinen floralen Akzenten und einem Hauch von Mineralik.

Am Gaumen dominiert eine reife, schmelzige Frucht, begleitet von nussigen und hefigen Noten sowie einer dezenten Würze. Der Wein hat eine kräftige Struktur mit griffigem Gerbstoff, kreidiger Mineralität und einer schönen Tiefe.

Das Finish ist konzentriert, warm und würzig, mit Anklängen von gelber Frucht, Tabak und heller Mineralik.

Jetzt in einer schönen Trinkphase.

Rothlauf Silvaner GG 2017

In der Nase treffen tiefe, leicht reduktive und herbe Aromen auf eine dezente Würze von Pfeffer, Kräutern und mineralischen Noten – untermalt von zarten floralen und pilzigen Nuancen.

Am Gaumen fest und trocken, mit einer saftigen, nussig-kräuterigen Frucht, begleitet von intensiver Mineralität. Die feine Säure und die spürbaren Gerbstoffe verleihen dem Wein einen tollen Griff.

Im Finish zeigt sich der kühle, präzise Stil mit langem Nachhall, voll Würze und Spannung. Ein Wein mit Charakter, der mich durch seine herrlich gereifte und feine Struktur beeindruckt.

Kniebrecher Silvaner 2022

In der Nase tiefe, warme Aromen von reifen gelben Früchten, einem Hauch Nuss, leichter Würze und feiner Rauchigkeit.

Am Gaumen zeigt er sich straff und konzentriert, mit einer saftigen Frucht und perfekt eingebundener Säure. Die feinen Gerbstoffe geben ihm Griff und Struktur, während die mineralische Tiefe für eine kühle Frische sorgt.

Das Finish ist lang, komplex und fast vibrierend, mit subtilen Aromen und großer Präzision. Ein Wein mit Kraft und Eleganz, der trotz seiner Intensität unglaublich leicht wirkt – meisterlich!

Was mich an diesem Tag bei den Mays besonders beeindruckte, war nicht nur die Qualität der Weine – die zweifellos zur Spitze gehören –, sondern die Menschen dahinter. Rudi, der Visionär mit den erdigen Händen, der jedem Weinberg ein Gesicht gibt. Seine Frau Petra, zweifelslos die gute Seele und das Rückgrat der Familie. Und Benedikt, der Gestalter, der das Erbe seiner Eltern in die Zukunft führt. Ihre unterschiedlichen Charaktere ergänzen sich perfekt. Rudi ist der ruhende Pol, der die Natur zu verstehen scheint wie kaum ein anderer. Benedikt sucht dagegen mit jugendlichem Tatendrang neue Wege, ohne dabei die Wurzeln aus den Augen zu verlieren.

Am Ende dieses Tages fühlte ich mich, als hätte ich nicht nur ein Weingut besucht, sondern einen Ort, an dem Weinkultur in ihrer reinsten Form gelebt wird. Die Mays haben es geschafft, eine Balance zu finden zwischen Tradition und Innovation, zwischen Altem und Neuem.

Und der Kniebrecher? Der steht nun in meinem Keller. Doch jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, habe ich das Gefühl, dass er mich ruft. Vielleicht ist es nicht nur der Wein, der mich fasziniert, sondern die Geschichte, die er erzählt. Eine Geschichte, die tief in den Böden Frankens verwurzelt ist und von einer Familie, die es versteht, das Beste daraus zu machen.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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