Wer in Leimen über die Rebzeilen blickt, ahnt nur zum Teil, was hier seit Generationen passiert. Weinbau hat an der Badischen Bergstraße eine Geschichte von fast zweitausend Jahren. Nach der Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts war es Georg Seeger, der als einer der Ersten wieder Spätburgunder pflanzte. Sein Urenkel Thomas führt diese Linie seit den 1990ern fort – kompromisslos, detailversessen, mit einem feinen Gespür für den Ausbau im kleinen Holzfass. Er gehört zu den Pionieren in Deutschland, die schon früh auf hochwertige Burgunder-Genetik setzten, und seine Rotweine haben ihm gleich mehrfach den Deutschen Rotweinpreis eingebracht.
Max Kaindl, 27. Oktober 2025
Lesezeit etwa 6 Minuten
Zwischen Tradition und Aufbruch: Die Seegers an der Bergstraße

Terroir mit Charakter – und Weine mit Geduld
Die Weinberge rund um Leimen und Heidelberg sind mehr als eine hübsche Kulisse: Lösslehmböden über Muschelkalk und Buntsandstein, Hänge, die den Wechsel von Rheinebene und Odenwald markieren, dazu ein Klima, das Kühle und Wärme balanciert. Genau hier entstehen Spätburgunder, die in ihrer Jugend oft verschlossen wirken, kantig fast – Weine, die Geduld fordern. Wer sie früh trinkt, bekommt Strenge, wer sie reifen lässt, erlebt Tiefe und Raffinesse, die in Deutschland nur wenige erreichen. Vielleicht erklärt das auch, warum Seeger in der jungen, hippen Weinszene bislang noch nicht die ganz große Bühne hat – seine Weine sind keine „Sofort-Beglücker“.
Doch etwas hat sich verändert. Die Jahrgänge 2022 und 2023 – auch bei der GG-Vorpremiere in Wiesbaden deutlich spürbar – zeigen sich feiner, mit weniger markantem Holzeinsatz, zugänglicher, früher ansprechbar. Ohne die DNA der Dichte zu verraten, sind sie eleganter geworden, balancierter. Für mich wirkt das wie eine bewusst gesetzte Weiterentwicklung.





Im Glas: Entwicklung mit Ansage
Im Glas bestätigt sich dieser Eindruck. Der Riesling RR 2018 wirkt leise, cremig, balanciert – fast untypisch subtil für Seeger. Der Spätburgunder Spermen GG R 2022 hingegen zeigt die neue Linie: saftig, dunkel, klar strukturiert, mit präsenten Tanninen, aber weniger über Holz definiert. Geduld bleibt Pflicht, doch die Tür zum Wein öffnet sich früher. Der Heidelberger Herrenberg R 2001 ist der Beweis, dass Warten sich lohnt: kühl, präzise, lang, ein Spätburgunder, der nach über 20 Jahren noch frisch wirkt wie am ersten Tag. Und dann die Amphore 2005 – drei Jahre Maischestandzeit, kompromisslos, provokant, ein Wein, der polarisiert und gerade deshalb zeigt, wie weit Seeger schon vor 20 Jahren gedacht hat.





Die nächste Generation: Anna Seeger
Zwölfte Generation, Önologie-Studentin in Geisenheim, mit ihrer eigenen Linie von vier Weinen. Zunächst wirkt sie etwas schüchtern, fast zurückhaltend. Doch sobald sie über ihre Weine spricht, spürt man sofort Energie, Leidenschaft und einen klaren Blick für das, was sie erreichen will. Sie ist noch sehr jung, ihr Weg hat gerade erst begonnen, doch ihre ersten Gehversuche deuten auf viel Potenzial hin.
Ihre Weine sind ein klares Bekenntnis zu einer neuen Handschrift. Sie will nicht einfach die Miniaturausgabe ihres Vaters sein – sie will Neues wagen. Der Chardonnay 2024 wirkt messerscharf, frisch, saftig – ein Wein mit Energie. Der Pinot Noir 2023 kommt elegant, feine klare Frucht, feines Tannin – weniger Wucht, mehr Finesse. Der Goldmuskateller 2024: verspielt, aromatisch, parfümiert, und dennoch trocken im Eindruck, macht einfach Spaß. Ihr Mischsatz 2024 polarisiert mit Sauvignon-Anklängen und Exotik – für meinen Geschmack etwas drüber, aber ein Statement, dass sie sich nicht scheut, Grenzen auszutesten.
Meine Tasting Notizen
Weißer Riesling RR trocken, 2018
Leise Töne, große Klasse. Zart cremig, hellfruchtig, überraschend frisch – ein Flüster-Riesling mit langem Nachhall und feinem Groove.


Anna Chardonnay, 2024
Frisch, saftig, präzise – leicht grün, aber reif genug, um dich zu catchen. Straighter Chardonnay mit Biss und Zug.
Chardonnay R, 2023
Warm, würzig, mit markantem Holz – noch verschlossen, aber mit Struktur und Potenzial. Braucht Luft, Zeit und Geduld. Kein Everybody’s Darling – und das ist gut so.


Anna Goldmuskateller, 2024
Parfümierte Fruchtbombe, aber trocken gefasst. Saftig, leicht, animierend – easy, aber nicht banal. Sommer im Glas.
Anna Mischsatz Weißwein Cuvée, 2024
Sauvignon-Vibes, viel Exotik, aber mir too much. Länge ist da, Würze auch – nur mein Stil ist’s nicht.

Anna Pinot Noir, 2023
Glasklar, elegant, mit feinem Grip. Noch jung, aber vielversprechend – ein Pinot mit Contenance und Format.


Spermen GG Spätburgunder R, 2022
Druckvoll, würzig, mit präsenten Tanninen. Dunkle Frucht, klarer Saft – hat Power, aber braucht Zeit. Jetzt noch wild, bald groß.
Heidelberger Herrenberg R, 2001
Rote Präzision in Reinform. Frisch, saftig, kühl, fein – ein 2001er, der tanzt statt zu schwächeln. Tabak, Länge, Klasse. Poesie im Glas.


Amphore, 2005
Volle Ladung Funk! Hartkäse in der Nase, dann frisch, dicht, saftig am Gaumen. Drei Jahre Maische, pure Wildheit. Essen dazu? Unbedingt – am besten Käseplatte mit Charakter.
Generationen im Dialog, nicht im Bruch
Der Generationenwechsel? Noch ist Thomas Seeger klar die Leitfigur, aber Anna hat ihren Platz gefunden. Sie geht bewusst eigene Wege, ohne die Tradition zu verraten. Ihre Weine wirken wie eine Ergänzung, kein Bruch. Sie bringen Frische, Leichtigkeit, einen anderen Blick auf dieselben Böden. Vater und Tochter scheinen das Kunststück zu schaffen, Übergang nicht als Bruch, sondern als Dialog zu leben.

Zwei Handschriften, eine Geschichte
Thomas Seeger steht für Spätburgunder, die in Deutschland einzigartig sind – tief, ernsthaft, langlebig. Anna bringt einen neuen Ton ins Spiel, feiner, mutiger, manchmal frecher. Zusammen ergibt das ein Weingut, das Tradition und Zukunft an der Badischen Bergstraße glaubwürdig vereint. Wer hier nur „regional“ erwartet, wird überrascht – und das gewaltig.







