Von 25. bis 27. August war es dieses Jahr wieder soweit. Der VDP lud rund 200 der weltweit wichtigsten Sommeliers, Publizisten und Weinexperten nach Wiesbaden ein, um sich ein Urteil über den neuen Jahrgang der Grossen Gewächse (GG) zu bilden. Dieses Jahr konnte ich zum ersten Mal an allen drei Tagen probieren. 462 Weine galt es zu verkosten. 444 habe ich geschafft. Über meine Eindrücke und Einschätzungen zu den einzelnen Regionen sowie meinem Urteil zu den angestellten Rieslingen werde ich in diesem Beitrag berichten. Meine Eindrücke zu den Burgundern und Silvanern findest du hier.

Max Kaindl, 30. August 2024
Lesezeit etwa 15 Minuten

VDP.GROSSES GEWÄCHS®
Vorpremiere 2024 —
Alles über Riesling

Bevor es losgeht, eine kurzer Vermerk zur besseren Einordnung meiner Notizen. Verkostet habe ich – soweit möglich – blind. Ich kannte lediglich die zu verkostende Region, die Lage und die Flightnummer, jedoch nicht die Weine und Weingüter des einzelnen Flights. Bei den beschriebenen Weinen geht es mir nicht immer um die höchste objektive Bewertung sondern auch darum, ob mich ein Wein persönlich berührt hat. Gänsehaut-Feeling? Lagerfeuerstimmung? Oder einfach nur Pure Joy? Faktoren, die ich in meinen unten gelisteten persönlichen Highlights mit einbezogen habe.

Meine hier festgehaltenen Eindrücke können allerdings nur Momentaufnahmen abbilden, die entsprechend eingeordnet werden sollten. Sie ergeben vielmehr ein gesamtheitliches Bild aus vielen einzelnen Puzzleteilen. In meinem Fall: Das Bild des Jahrgangs 2023 für Riesling – und vereinzelt 2022. Meine Eindrücke zu den 2022 und 2023er Burgundern und Silvanern findest du hier.

Da eine ausführliche Beschreibung aller 444 verkosteten Weine den Rahmen dieses Blogs sprengen würde, habe ich mich auf die Highlights der einzelnen Regionen sowie deren Gesamteindruck fokussiert. Eines sei bereits vorweg erwähnt: Die Rieslinge des Jahrgangs 2023 haben sich mir in der Breite deutlich homogener und schöner zu trinken gezeigt, als die des oftmals sehr heterogen und schwer zugänglichen 2022er.

Mosel-Saar-Ruwer

65 Rieslinge. 2023 wenn nicht anders angegeben.

Der Montagvormittag begann mit der Mosel – einer Region, die ich für ihre eleganten, leichtfüßigen Frucht- und edelsüßen Weine feiere. Bei den trockenen Vertretern habe ich jedoch oft meine Vorbehalte. Doch dieses Jahr hat mich die Mosel überrascht: Im Gegensatz zum hitze- und trockenstress-geplagten Jahrgang 2022 präsentierte sich 2023 saftig, ausgewogen und reifer als erwartet. Die Rieslinge wirkten auf mich insgesamt fester, würziger, trockener – und gleichzeitig saftiger, mit einer tollen Balance. Besonders die Saar und Ruwer stachen – wieder einmal – positiv hervor. Rund um Bernkastel hingegen gab es für mich nur wenige Höhepunkte, und auch die Weine von der Terrassenmosel konnten dieses Jahr nicht ganz mit den Vorjahren mithalten. Allerdings lag das vielleicht auch an den vielen Fassproben, die Heymann-Löwenstein im Gepäck hatte – hier fällt ein abschließendes Urteil schwer.

Kommen wir nun zu den Weinen, die mich wirklich begeistert haben. Wenn mich von einem Weingut mehrere Weine überzeugen, fasse ich das als „Weingutsbericht“ zusammen. Wer sich für mein Bewertungssystem interessiert, findet hier weitere Infos.

Beste Kollektion – Mosel

Die beste Kollektion von der Mosel lieferte für mich dieses Jahr Van Volxem ab. Ganze 10 GGs wurden angestellt – alle mit einem eigenständigen Charakter, aber doch unverkennbar geprägt durch die Handschrift des Hauses. Die Weine hatten durchweg einen festen Kern, waren würzig, elegant, hatten eine lebendige Säure und ein herrlich saftiges Finish. Besonders hervorheben möchte ich den Scharzhofberger P (Pergetsknopp): Dunkle Würze trifft auf frisch geschnittene Grapefruit. Am Gaumen dicht und komplex, mit lebendiger Säure und kraftvoller, kerniger Struktur. Das würzige, salzige Finish fordert heraus. Ein ganz großer Wein. Positiv überrascht hat mich auch der Geisberg. Im sechsten Jahr nach der Pflanzung direkt ein GG zu machen, wurde nicht von allen Verkostern in Wiesbaden gut aufgenommen. Auch ich war zunächst skeptisch – ein gewisses Rebalter ist für ein GG schließlich fast „Pflicht“. Aber Roman hat mich eines Besseren belehrt. Denn ich lag in Sachen Rebalter vollkommen daneben. Das GG stammt aus dem erst im letzten Jahr erworbenen Teilstück, das Van Volxem noch für das Monopol gefehlt hat. 30 Jahre alte Reben. Ingwerschärfe und Grapefruit in der Nase, am Gaumen dann geradlinig und elegant, mit rassiger Säure, dunklem würzigen Kern und einem salzig-saftigen Finish. Exzellent. Nicht ewig tief und lang, aber das wäre nach so kurzer Zeit auch vermessen. Ein Erstlingswerk, das in den nächsten Jahren viel Freude bereiten wird.

Unbedingt erwähnenswert

Ebenso überzeugend fand ich Zillikens Rausch, der sich – einmal mehr – sehr lagentypisch präsentierte. Die leicht rauchige Nase setzte sich am Gaumen fort, ergänzt durch lebendige Säure, reife, kühle Frucht und ein würzig-salziges Finish. Eine herrliche Balance und einfach schön zu trinken. Exzellent.  Maximin Grünhaus lieferte einmal mehr eine herausragende Kollektion ab. Brudersberg, Herrenberg und Abtsberg präsentierten sich vibrierend, mit der typischen Grünhäuser-Würze, kernig, zupackend, sehr gut balanciert und saftig. Besonders der Abtsberg fiel dieses Jahr auf – dunkler, komplexer und dichter als sonst, mit einem festen Kern und dennoch sehr gut balanciert. Salzig, elegant und von einer gewissen Erhabenheit. Ein Wein, der mich tief beeindruckt hat. Groß. Clemens Busch lieferte ebenfalls eine konstant exzellente Qualität ab, auch wenn mich seine Weine dieses Jahr nicht so sehr berührten wie in der Vergangenheit. Nicht zu vergessen Fritz Haag. Kristallin, leise, zart, hell und wunderschön balanciert zeigten sich alle drei angestellten GGs.

Hidden Gems

Neben den großen, bekannten Namen möchte ich aber auch einige „Hidden Gems“ erwähnen. Wiesbaden bietet die wunderbare Gelegenheit, Weingüter zu entdecken, die nicht unbedingt im Rampenlicht der üblichen Weinmagazine stehen. Ein solches Weingut ist Grans-Fassian. Katharina hat in diesem Jahr sehr rassige, würzige und wunderbar balancierte Rieslinge abgefüllt. Mein Highlight der homogenen Kollektion war die Apotheke. In der Nase ein animierender Mix aus schwarzem Pfeffer, Kräutern und Grapefruit. Am Gaumen dann eine regelrechte „Attacke“: Straff, fein, mit heller Frucht und vielen Kräutern. Tief, kompakt, adstringierend und zupackend, mit würziger, zestiger Frische und einem enormen Potenzial im Finish. Exzellent. Ein Weingut, das man im Auge behalten sollte, denn die Weine sind in den letzten Jahren deutlich straffer, trockener und zupackender geworden – genau das, was ich von einem GG erwarte.

Und damit zu meinen qualitativen und persönlichen Highlights

Mittelrhein

5 Rieslinge. Alle aus 2023.

Der Mittelrhein ist bei mir bisher eher unter dem Radar geflogen. Doch die drei angestellten Weingüter lieferten durchweg eine verlässlich sehr gute bis exzellente Qualität ab. Für meinen Geschmack waren die Rieslinge stellenweise etwas zu süß geraten, aber wer auf gefällige, fruchtbetonte Rieslinge steht, sollte definitiv Jost’s Im Hahn und Ratzenberger’s Wolfshöhle probieren. Beide Weine sind richtig schön gelungen – exzellent, um genau zu sein. Da sie für mich sowohl qualitativ als auch persönlich zu den Highlights gehörten, verzichte ich hier auf eine gesonderte Auflistung.

Rheingau

49 Rieslinge. 2022 wenn nicht anders angegeben.

Kommen wir zum altehrwürdigen, wenn auch aktuell etwas angestaubten Rheingau. Einer Region, die mir persönlich durch ihre Menschen und die Landschaft sehr am Herzen liegt. Leider schafft es der Rheingau oft nicht, diese Nähe auch qualitativ in die Flasche zu bringen. Ich möchte dabei nicht in den Chor derer einstimmen, die den Rheingau nur deshalb bashen, weil es unter Weinfreaks gerade “zum guten Ton” gehört. Das würde seiner langen Geschichte nicht gerecht werden und ist auch nicht mein Stil. Dennoch bleibt festzuhalten, dass viele der gezeigten Weine nicht auf dem Niveau der GGs aus anderen Regionen mithalten können – und das zum Teil sehr deutlich. Zu süß, zu eindimensional, oft ohne die nötige Tiefe, Festigkeit und Komplexität. Rieslinge, die jetzt durchaus gut zu trinken sind, aber kaum das Potenzial für eine lange Reifung erkennen lassen. Doch genau das erwartet man von einem GG! Wer sofortigen Genuss sucht, greift besser zu einem Ortswein oder einer Ersten Lage – aber zu einem GG für 35€+? Wohl eher nicht.

Was gesagt werden muss

Der Regionalverband hat vor zwei Jahren beschlossen, den Weinen mehr Zeit auf der Flasche zu geben, bevor sie auf den Markt kommen. So wurden in Wiesbaden die 2022er Jahrgänge präsentiert, mit ein paar wenigen, aber umso erfreulicheren Ausnahmen. Das Jahr 2022 war auch für den Rheingau klimatisch herausfordernd (mehr dazu in meinem Bericht zur Vorpremiere 2023). Es ist also wenig überraschend, dass es die Weine schwer hatten, gegen den deutlich trinkfreudigeren und charmanten Jahrgang 2023 anzutreten. Einige Weine wiesen Spuren von trocknender Phenolik auf, kratzten leicht im Abgang und zeigten grüne, unreife Noten – was in Spannung und Tiefe fehlte. Trotzdem hoffe ich auf einen Qualitätssprung in den kommenden Jahren hin zu einer konsistenteren Darstellung dessen, was ein VDP GG repräsentieren soll. Denn in fast jedem Flight gab es Weine, die deutlich unter den hohen Standards des VDP lagen.

Das GG-Symbol auf einer Flasche steht für die besten trockenen Weine Deutschlands. Diese Qualität basiert auf einem gleichmäßig sehr hohen Mindeststandard. Es ist deshalb unerlässlich, Weine, die diesen Standard in einem bestimmten Jahrgang nicht erreichen, von der Bezeichnung GG auszuschließen. Nur so bleibt die über zwei Jahrzehnte erarbeitete und verdiente hohe Reputation des VDP.GROSSES GEWÄCHS® langfristig bestehen.

Highlights

Genug der kritischen Worte. Wenden wir uns meinen persönlichen Highlights aus dem Rheingau zu – denn die gab es durchaus. Vier Winzer stachen für mich besonders hervor: Prinz (2023), Künstler, PJ Kühn und allen voran Weil (ebenfalls 2023). Peter Jakob Kühn und Prinz lieferten mit ihrer gesamten Kollektion durchweg sehr gute bis exzellente Qualität ab, auch wenn Kühn in meinen Augen nicht ganz an die herausragenden Weine der letzten vier Jahrgänge herankam. Bei Künstler war ich nicht mit allem zufrieden, aber der Marcobrunn und der Pfaffenberg haben mich begeistert. Der Pfaffenberg präsentierte sich reif, mit gelber Steinfrucht und leicht herben Noten in der Nase. Am Gaumen zeigte er eine schöne Balance, gute Spannung, aber auch eine etwas spitze Säure – das könnte sich mit der Zeit noch fügen. Der Marcobrunn hingegen war für mich ein echtes Highlight. Reife Steinfrucht in der Nase, begleitet von hellen Blüten und dunkler, tiefer Würze. Am Gaumen kompakt, salzig, spritzig, mit festem Gerbstoff und straffer, etwas beißender Säure. Dazu kommt eine ordentliche Portion Substanz und ein langer, saftiger Abgang. Beide Weine sind exzellent.

Was mich besonders freut: Die Lage Marcobrunn erwacht langsam aus ihrem Dornröschenschlaf, nicht zuletzt dank Künstler und Prinz, die mit dem Jahrgang 2021 Parzellen übernommen haben. Bisher war Oetinger das einzige Weingut, das aus dieser Lage bemerkenswerte Qualitäten hervorzubringen wusste – doch das scheint sich endlich zu ändern.

Unbedingt erwähnenswert

Und dann ist da noch der 2023er Gräfenberg von Robert Weil. Ein Wein, der in seiner Jugend oft unterschätzt wird. Kreidig, mit bunter Frucht und einem Hauch von weißem Pfeffer, alles sehr leise und zurückhaltend. Genau so schmeckt ein junger Gräfenberg – und das wird oft übersehen. Doch wer die Weine aus Kiedrich nach 6-8 Jahren Reifung kennt, weiß, zu welcher Größe und Eleganz sie heranreifen. Und das Jahr für Jahr, zuverlässig. Deshalb möchte ich betonen, dass der 2023er Gräfenberg der vielleicht beste junge Gräfenberg der letzten fünf Jahre ist, den ich im Glas hatte.

Nahe

34 Rieslinge. 2023 wenn nicht anders angegeben.

Dann ging es weiter an die Nahe – meine heimliche Lieblingsregion, wenn es um trockenen Riesling geht. Und auch dieses Jahr hat die Nahe in Sachen Qualität wieder ordentlich abgeliefert. Für mich war sie die stärkste Region in der Breite, mit einer extrem hohen Konzentration an gelungenen Rieslingen. Die ganz großen Gänsehaut-Momente blieben zwar aus, dafür hatte ich eine Vielzahl von wunderbar saftigen, gut balancierten und berührenden Weinen im Glas. Und darum geht es doch letztendlich, oder?

Der erste Flight von der Nahe war für mich gleich der stärkste Riesling-Flightder Region. Zwei Mal Frühlingsplätzchen, zwei Mal Halenberg, Dönnhoffs Hermannshöhle und obendrauf die Premiere der Klamm von Gut Hermannsberg. Als Riesling-Liebhaber komme ich da sofort ins Schwärmen. Ein regelrechtes Geschmacksfeuerwerk – und zwar wortwörtlich. Reduktion in Form von Schießpulver war bei einigen Weinen das große Thema, allen voran bei Schäfer-Fröhlichs (SF) Frühlingsplätzchen und Halenberg. Ich muss sagen, der Stilwechsel von SF hin zu weniger extrem reduzierten, zugänglicheren Weinen gefällt mir richtig gut. Schönlebers Halenberg war erwartungsgemäß stark: dezente dunkle Würze, erhaben und tief, etwas Kräuter, kaum Frucht in der Nase. Am Gaumen extrem elegant und balanciert, mit einem festen dunklen Kern, feinen Gerbstoffen und lebendiger Säure, salzig und packend im Finish. Groß.

Mittlere Nahe

Die Hermannshöhle von Dönnhoff hat ebenfalls ihr Potenzial gezeigt, auch wenn sie für mich nicht ganz die Perfektion von 2021 erreichte. Zart, sehr zurückhaltend, mit einem Hauch von Steinfrucht und zitrischen Noten, ganz fein und dicht verwoben. Am Gaumen dann nobler Saft, sehr frisch, fast grünlich, mit vibrierender Säure und einem fest strukturierten Kern. Ein Wein, der fordert, dabei aber unglaublich edel bleibt. Groß. Insgesamt war Dönnhoff stark, auch wenn mir die typischen Wow-Momente dieses Jahr etwas gefehlt haben. Ähnlich erging es mir bei Gut Hermannsberg, die mich in der Breite jedoch nicht in der Spitze überzeugten.

Beste Kollektion – Nahe

Für mich haben sich dieses Jahr vor allem die Rieslinge rund um Dorsheim und kurz vor Bingen hervorgetan. Ganz besonders die Weine von Kruger-Rumpf, die für mich die beste Kollektion an der Nahe abgeliefert haben. Seit Jahren auf einem exzellenten Niveau, fliegen sie in der deutschen Weinszene noch immer zu sehr unter dem Radar. Dabei sind die Weine großartig und haben enormes Reifepotenzial. Allen voran der 2023er Burgberg: In der Nase sehr zurückhaltend, fast verschlossen, mit dunklen Tönen und sonst wenig. Doch am Gaumen entfaltet sich ein tiefgründiger, nobler Saft – dunkel, würzig, steinig, mit packendem Gerbstoff, kaum Frucht, dafür jede Menge Salz und lebendige Säure. Ein salzig-straffes und mitreißendes Finish. Groß. Nicht ganz so intensiv, aber kaum weniger spannend fand ich den Im Pitterberg (groß), gefolgt vom leiseren, dafür mehr von Kräutern geprägten Dautenpflänzer (exzellent). Auch der Scharlachberg aus Bingen auf der anderen Seite des Rheins zeigte sich hell-fruchtig und kräutrig – allerdings nicht mit der gleichen Tiefe und Dichte wie die anderen GGs. Exzellent.

Unbedingt erwähnenswert

Die Weine von Joh. Bapt. Schäfer haben mich ebenfalls überzeugt. Sehr hell, kristallin, kühl – einfach eigenständig im Stil. Und natürlich darf das Schlossgut Diel nicht unerwähnt bleiben. Caros und Sylvains 2022er Burgberg hat vollends überzeugt: In einem so trockenen Jahr einen Wein zu erzeugen, der so hell, klar und würzig ist, dazu enorm vibrierend, fein-saftig und mit zitrischen Noten, flintig und mit einem festen Kern und packender Säure – das ist schon eine Leistung. Der Wein bleibt ewig lang im saftig-zestigen Finish. Groß!

Rheinhessen

29 Rieslinge. 2023 wenn nicht anders angegeben.

Ach, Rheinhessen – die sanften Hügel der Region mögen für eine bayerische Kletterechse wie mich landschaftlich nicht das absolute Highlight sein, aber die Weine? Die lassen mein Herz seit Jahren höher schlagen. Besonders die trockenen Vertreter haben es mir angetan – so sehr, dass mein persönlicher Wein des Jahres aus Rheinhessen kommt.

Starten wir im Nordwesten der Region, am Binger Eck. Hier hatte ich dieses Jahr wieder einige spannende Rieslinge im Glas. Neben dem bereits erwähnten Scharlachberg von Kruger-Rumpf hat mich auch das Weingut Bischel mit einem Riesling aus derselben Lage begeistert. Intensive Steinfrucht, gelb, aber nicht überreif, dazu ein Hauch Reduktion, weiße Blüten und helle Kräuter in der Nase. Am Gaumen packend und saftig, spritzig und zitruszestig, mit kauender Phenolik, einem festen Kern und einem zupackenden, saftigen Finish. Exzellent. Ebenfalls stark: der Hundertgulden vom selben Weingut. Würziger und gelbfruchtiger als der Scharlachberg, aber mit ähnlicher Tiefe und Festigkeit. Exzellent. Ein Wein mit Potenzial für viele großartige Jahre.

Roter Hang

Und dann kommen wir zum Roten Hang, der legendären Lage, die auch dieses Jahr – trotz eines weiteren trockenen Jahrgangs – wieder einmal beeindruckte. Die Winzer schafften es, saftigere, besser balancierte und zugänglichere Rieslinge zu erzeugen als im Vorjahr. An der Spitze, wie könnte es anders sein, Kühling-Gillot mit dem Rothenberg Wurzelecht (groß), dem Pettenthal (exzellent) und dem Hipping (exzellent). Alle drei Weine zeigten die für den Roten Hang so typische rote Würze und neigten zur roten Frucht, besonders ausgeprägt beim Rothenberg mit viel Johannisbeere. Das Pettenthal wirkte auf mich dunkler, tiefgründiger und einnehmender, während der Hipping sich wieder eher in Richtung spritziger, roter Frucht bewegte. Alle drei Weine waren fest, aber unglaublich saftig im Finish – ein deutlicher Schritt nach vorn im Vergleich zum Vorjahr.

Gänsehaut-Moment

Dann kam der erste Gänsehaut-Moment: Wittmanns Aulerde. In der Nase feine, dichte Steinfrucht, etwas Würze – alles leiser und harmonischer als im Vorjahr. Am Gaumen saftig, mit reifer, aber nicht überreifer Steinfrucht, zupackend, toller Gerbstoffgripp, animierende Säure, ein fester Kern, klarer Saft – vibrierend, tänzelnd, harmonisch und frisch im Finish. Groß. Der Charmeur unter Wittmanns Rieslingen wird von Jahr zu Jahr besser! Und dann das Brunnenhäuschen – Tränenmoment. Noch feiner und komplexer als die Aulerde, hell und klar in der Frucht, dann diese charmante, aber kraftvolle Würze, tief und hochkomplex, leicht steinig, fast wie Gesteinsmehl in der Nase. Am Gaumen saftig, zupackend, präzise Steinfrucht, animierende Säure, nobler Saft – tänzelnd, erhaben, hoch elegant. Ein Tick reifer als das Kirchspiel, aber frischer als die Aulerde, alles perfekt verwoben, mit herrlicher Balance und einem saftigen, fein-nuancierten Finish, das ewig nachhallt. Groß. Dieses Kribbeln spüre ich immer noch. Übrigens: Wie schon letztes Jahr war das Brunnenhäuschen für mich ein klein wenig stärker als der Morstein.

Kollektion des Jahres

Ohne Frage geht dieser Titel an Battenfeld-Spanier. Der letzte Flight aus Rheinhessen war ein echtes Highlight – dicht gepackt mit großen Weinen. Kirchenstück, Zellerweg am Schwarzen Herrgott und schließlich der Frauenberg – für mich der beste Wein des Jahrgangs, Punkt. Dreimal Salzparty, dreimal Kreidetafel, dreimal Tabakdose und dreimal eine 12-Volt-Batterie, die alles miteinander verbindet. Eine Perfektion, Dichte, Tiefe und Harmonie, die ich von Battenfeld-Spanier so noch nicht gesehen habe. Hut ab! Großartig. Aber genug der Lobeshymnen – probiert’s am besten selbst.

Pfalz

69 Rieslinge. 2023 wenn nicht anders angegeben.

Ab geht’s in das größte Riesling-Anbaugebiet Deutschlands – die Pfalz! Auch dieses Jahr konnte ich hier einige spannende und extrem gut trinkbare Riesling GGs entdecken. Natürlich haben die großen und allseits bekannten Produzenten wieder ordentlich abgeliefert, aber es gab auch abseits des Rampenlichts viel Spannendes zu entdecken. Ganz vorne mit dabei: das Weingut Kranz. Genau wie Grans-Fassian läuft es vollkommen unverdient unter dem Radar der deutschen Weinszene. Ihr Kranzberg gehört für mich dieses Jahr zur absoluten Spitze. Ein Gänsehaut-Moment im Glas! In der Nase Kreide und Gesteinsmehl, dazu hell-gelbe Frucht – unglaublich saftig und frisch, fokussiert und animierend, aber nie unreif. Am Gaumen dann zitrische Noten, wieder Kreide, Gesteinsmehl, straffe Säure, mit einem festen, zupackenden Kern. Das Ganze zieht sich dann durch ein langes, saftiges Finish, das nur so spritzig daherkommt. Das kann es locker mit den Besten des Jahrgangs aufnehmen.

Beste Kollektion – Pfalz

Bleiben wir in der Südpfalz. Denn von hier kam für mich die überzeugendste Kollektion des Jahres: Ökonomierat Rebholz. Vier sehr eigenständige Rieslinge, die dennoch alle die klare Handschrift des Hauses tragen. Alle auf höchstem Niveau. Die Speerspitze? Natürlich der Kastanienbusch – einmal mehr. Intensiv in der Nase: rote Würze, schwarzer Pfeffer, rote Johannisbeere, spicy und tief. Am Gaumen dann ein regelrechter Stromschlag: lebendig wie eine 12-Volt-Batterie, würzig, kaum Frucht, aber tief und komplex. Ein fester Kern, feiner Gerbstoff, lebendige Säure – das singt geradezu im Glas! Fein, saftig und mit einem leicht herben, aber ewig ziehenden Finish. So gut habe ich den jungen Kastanienbusch noch nie getrunken. Großes Kino. Chapeau!

Auch Bürklin-Wolf hat wieder abgeliefert. Ihre Rieslinge überzeugten durch die Bank, und das an der Mittelhaardt, wo die Konkurrenz stark ist. Ein Wermutstropfen war jedoch, dass das von Meininger erstmals mit 100 Punkten bewertete Kirchenstück fehlte. Somit konnte ich mir leider kein abschließendes Bild der Gesamtkollektion machen. Aber der Pechstein und der Gaisböhl? Großartig! Eine innere Ruhe, Tiefe und Finesse, wie sie in der Pfalz nur Bürklin-Wolf so herausarbeiten kann.

Mittel- und Obere Haardt

Die Qualität hier war dieses Jahr absolut überzeugend. Forst hat einige tolle Beispiele hervorgebracht, darunter der Pechstein von Achim-Magin und von Winning. Auch wenn ich persönlich den intensiven Holzeinsatz von von Winning nicht bevorzuge, muss ich zugeben, dass der Wein qualitativ auf hohem Niveau war. Noch einen Tick besser war das Kirchenstück vom gleichen Weingut: fein, elegant, mit gut eingebundenem Holz, fester Struktur und einem vibrierenden, tänzelnden Finish.

Ein Wort zu Christmann. Ähnlich wie Joh. Bapt. Schäfer an der Nahe hat Christmann einen sehr eleganten, fast kristallinen Stil, der sich deutlich von der typischen Pfälzer Art abhebt. Das ist keineswegs schlecht, aber ich verstehe den Hype um den Idig nicht immer komplett. Vergleicht man den Idig mit der Meerspinne oder dem Vogelsang, zeigten letztere in 2023 für mich einfach mehr Tiefe, Struktur und Substanz. Dennoch wird der Idig Jahr für Jahr hochgejubelt – und das wird auch diesmal wieder in vielen Magazinen so sein. Klar, es ist Business, man will erwähnt werden und zu den Verkostungen eingeladen werden. Aber ein wenig mehr Differenziertheit würde ich mir manchmal wünschen. Das gesagt, möchte ich den Idig nicht schlechtreden – das sind einfach ein paar ehrliche Gedanken, die ich an dieser Stelle teilen möchte.

Insgesamt hat mich die Pfalz dieses Jahr wirklich begeistert. Ich bin nicht immer ein Fan der manchmal etwas üppigen, opulenten Weine aus dieser Region, aber 2023 war anders. Es gab viele saftige, dichte und wunderschön balancierte Weine. Wie schön, wenn die Pfalz zeigt, was sie kann!

Franken

15 Rieslinge. 2023 wenn nicht anders angegeben.

Franken, die Heimat des Silvaners, hat es in Sachen Riesling bei mir immer ein wenig schwer – und das liegt nicht an der Qualität. Ganz im Gegenteil, aus Franken kommen einige wirklich großartige Rieslinge. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass diese Region sich auf ihr wahres Alleinstellungsmerkmal konzentrieren sollte: den Silvaner. Denn niemand macht Silvaner so gut wie die Winzer in Franken. Mehr dazu gibt’s im morgigen Bericht.

Aber jetzt erstmal zu den Rieslingen, die ich dieses Jahr probieren durfte. Und wie so oft in Franken, waren es die üblichen Verdächtigen, die mich überzeugten: Weingut am Stein, Luckert und Fürst. Ein Name, den ich besonders hervorheben möchte, ist Paul Weltner mit seinem Hoheleite. In der Nase zeigt sich der Wein mit grüner Frucht – aber keine Spur von Unreife – dazu frische Kräuter, elegant und einladend, später dann auch würzig und hell. Am Gaumen setzt sich das fort: frisch, animierend, grüne Frucht, fest, salzig, mit tollem Gerbstoff, langem Abgang und einer saftigen, mundwässernden Struktur. Einfach herrlich gelungen. Exzellent.

2023 ist ein Genussjahr für Franken. Vielleicht wird nicht jeder Wein ewig halten – aber warum auch warten, wenn sich die Rieslinge in ihrer Jugend schon so wunderbar trinken lassen?

Württemberg / Baden

14 Rieslinge. genannte aus 2022 außer Aldinger (2023)

Puh. Es fällt mir ehrlich gesagt schwer, über die Rieslinge aus Württemberg und Baden zu schreiben. Warum? Nun, die Regionen sind mittlerweile oft so warm, dass es für meinen Geschmack schwer wird, Rieslinge mit dieser knackigen, festen Struktur und ohne opulente Schwere auf die Flasche zu bekommen. Klar, das kann man als Stilfrage sehen. Deshalb möchte ich hier versuchen, ein differenziertes Bild zu zeichnen. Auch wenn mich – abgesehen von Schnaitmanns Götzenberg – kein Riesling emotional wirklich gepackt hat, überzeugten die Weine von Aldinger, Haidle, Schnaitmann und Beurer doch qualitativ auf ganzer Linie. Wer auf Gerbstoffe, kräutrige Noten und etwas wärmere Rieslinge steht, der wird hier sicher einige charmante Tropfen finden.

Sachsen / Saale-Unstrut

4 Rieslinge. Alle aus 2022.

Mehr Liebe für Deutschlands östlichstes Weinbaugebiet

Last but not least: Sachsen und Saale-Unstrut. Diese Region wurde im Frühjahr von einem derart brutalen Spätfrost heimgesucht, dass ich mich fast schon verpflichtet fühle, ein wenig Liebe und gute Worte in ihre Richtung zu schicken. Hier mein Versuch einer dennoch ansatzweise differenzierten Meinung.

Die gezeigten Weine stammten allesamt aus dem Jahrgang 2022 – einem Jahrgang, der es mir beim Verkosten nicht leicht machte. So zeigten alle vier Weine die typischen Charakteristika dieses herausfordernden Jahres. Doch zwei Weine haben mir wirklich gut gefallen: Heys Steinmeister und Martin Schwarz’ Friedstein.

Der Steinmeister punktete mit einer einladend kräuterigen und hellfruchtigen Nase. Am Gaumen folgte ein schönes Spiel zwischen festem, leicht mürbem Gerbstoff, einem süßlichen Kern und einem zupackenden, fester werdenden Finish. Ein Wein, der bereits jetzt Freude macht, aber auch noch ein wenig zulegen könnte. Der Friedstein hingegen kam rauchig und flintig daher, mit einem Hauch Speck in der Nase – doch keinesfalls schwer oder langweilig, sondern mit ordentlich Spannung und Biss. Beide Weine müssen nicht ewig im Keller bleiben, aber in 1-2 Jahren dürften sie sich auf dem Höhepunkt befinden und wunderschön trinken lassen.

Meine große Hoffnung liegt auf dem 2023er Jahrgang. Denn die Region verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit!

Fazit

Mehr Licht als Schatten

Was bleibt also nach diesen drei langen, intensiven und lehrreichen Tagen als Essenz übrig? Zunächst einmal möchte ich betonen, dass meine Eindrücke immer Momentaufnahmen sind und entsprechend eingeordnet werden sollten. Es sind Puzzleteile, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen.

Einige der in Wiesbaden angestellten Weine hatte ich bereits im Frühsommer als Fassprobe auf meinen Weingutsbesuchen verkostet. Oft hat sich mein Ersteindruck bestätigt oder gar gefestigt. Der VDP beschreibt den 2023er Jahrgang sehr treffend als einen “Spezialistenjahrgang”. Wer es mit viel Mühe und Hingabe geschafft hat, den schwierigen Witterungsbedingungen im Sommer sowie dem teils verregneten Herbst zu trotzen, konnte extrem klare, konzentrierte und vibrierende Trauben ernten.

Zum Jahrgang 2023

Nach den drei intensiven Verkostungstagen in Wiesbaden habe ich das Gefühl, dass sich der 2023er Jahrgang bei den VDP-Winzern deutlich homogener präsentiert, als ich es nach der Mainzer Weinbörse im Frühjahr erwartet hatte. Die Dichte an Spitzenweinen ist dieses Jahr erfreulich höher als 2022. Die Schwankungen – auch innerhalb der Regionen – sind merklich geringer. Die absoluten Wow-Momente sind jedoch nicht so breit gestreut, wie vermutet. Der Jahrgang zeigt sich saftig, balanciert und weitgehend gut strukturiert, und viele der Weine machen schon in der Jugend richtig Spaß. Allerdings werden nicht alle Großen Gewächse von langer Reife profitieren. Hier empfehle ich: Ruhig mal früher die eine oder andere Flasche öffnen und sich selbst überzeugen. Ein Qualitätscheck sozusagen – und in den meisten Fällen dürfte der Genuss garantiert sein.

Dennoch ist 2023 kein Jahrgang, den man einfach blind kaufen sollte. Vielmehr rate ich dazu, eine gut durchdachte Selektion zu treffen und, wenn möglich, beim lokalen Fachhändler des Vertrauens vorzuverkosten.

Merci

Zum Abschluss möchte ich dem VDP und dem gesamten Orga-Team in Wiesbaden ein großes Dankeschön aussprechen – für die Einladung zu dieser außergewöhnlichen und perfekt organisierten Veranstaltung. Es war mir eine echte Freude und Ehre, dabei zu sein!

Noch ein Hinweis: Nur weil ein Wein es nicht in meine detaillierten Beschreibungen geschafft hat, bedeutet das keineswegs, dass er qualitativ schwach war. Ich habe alle Rieslinge verkostet und dabei sowohl versucht, sie objektiv zu bewerten als auch meine ganz persönlichen Eindrücke festzuhalten.

Meine Eindrücke zu den Burgundern und Silvanern gibt es hier zu lesen.

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Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl
Header und Ende: © VDP by Peter Bender

4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Lieber Max,
    mal wieder ein klasse Bericht über den neuen GG-Jahrgang des VDP. Macht sehr viel Spaß zu lesen und vor allem Freude darauf, sich die neuen Weine zuzulegen und zu trinken!
    Weiter so!

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  • Vielen Dank für deine sehr ausführlichen Zeilen. Hat richtig Spaß gemacht zu lesen und es gab auch tollen Input zu Weingütern die man noch nicht kannte, wie zum Beispiel das Weingut Kranz.

    Antworten
    • Freut mich, dass ich dich ein wenig inspirieren konnte, Jens! Jenseits der altbekannten Namen, gibt es in 2023 einige spannende “kleinere” Betriebe zu entdecken.

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