Ein Schnitt. Ein Schnitt nur. Und plötzlich wird aus einem Müller-Thurgau ein Spätburgunder. Klingt nach fauler Zauberei, ist aber bittere Realität im Weinbau. Das Zauberwort lautet: Umveredeln. Wer glaubt, Weinbau sei romantisch, sollte sich diesen Begriff gut merken. Denn er steht für eine der radikalsten Entscheidungen, die ein Winzer treffen kann. Er trennt den Kopf der Rebe vom Körper und setzt ihr einen neuen drauf. Ganz wörtlich.

Max Kaindl, 20. Juli 2025
Lesezeit etwa 4 Minuten

Umveredeln – die radikale Chance im Weinberg

Warum umveredeln?

Die Gründe sind schnell erklärt:

Sortenwechsel

Weil der Markt es verlangt. Oder der Winzer. Oder weil man irgendwann einsehen muss, dass Müller-Thurgau im heißen Wonnegau heute keine Zukunft mehr hat – und auch anderswo.

Fehlentscheidungen korrigieren

Weil Bacchus keine Rebsorte für Spitzenweinbau ist und es auch niemals werden wird.

Qualitätssteigerung

Weil alte Reben zwar gesund sind, aber auf der falschen Sorte stehen.

Trends

Weil Dornfelder vor dreißig Jahren „in“ war. Und heute ist es halt Chardonnay.

Kurzum

Umveredeln ist ein Werkzeug, das Winzern erlaubt, schnell – wenn auch kostspielig – auf neue Gegebenheiten zu reagieren.

Wie funktioniert das?

Im Frühjahr, wenn der Saft gerade zu steigen beginnt, wird die alte Rebe radikal heruntergeschnitten. Nicht am Stamm, sondern knapp über der Veredlungsstelle. Der Winzer setzt Edelreis – meist einjähriges Holz der neuen gewünschten Sorte – in einen exakt gesetzten Schnitt des alten Holzes ein. Klingt simpel, ist es aber nicht.

Zwei Methoden haben sich durchgesetzt

Chips Budding

(engl. für Schnipselveredelung): eine Knospe wird eingesetzt.

Whip and Tongue

(Zungenpfropfen): Edelreis und Rebe werden ineinandergeschoben wie zwei Puzzleteile.

Beide haben ein Ziel: Die Leitungsbahnen des alten Holzes sollen mit dem neuen Edelreis verwachsen. Dafür braucht es Feingefühl, Erfahrung – und Glück.

Die Rebe wird danach mit einem speziellen Tape verbunden, oft mit Wachs versiegelt, um Feuchtigkeit und Schmutz draußen zu halten. Nach ein paar Wochen weiß man, ob der Plan aufgegangen ist.

Was sind die Voraussetzungen für ein Gelingen?

Gesunde Rebstöcke

Ohne Vitalität im Wurzelwerk klappt das nicht.

Guter Zeitpunkt

Zu früh – kein Saftdruck. Zu spät – zu viel Saft, der Schnitt trocknet nicht sauber ab.

Sauberes Arbeiten

Keime, Schmutz, schlechter Schnitt – alles Kill-Faktoren.

Richtige Sorte

Müller-Thurgau auf Dornfelder pflanzen – sinnlos.

Die Risiken

Ganz einfach: Es kann schiefgehen. Und zwar komplett.

Die Veredelung wächst nicht an.

Die Wasserversorgung ist nicht ausreichend gewährleistet

Der Stock schwächelt danach jahrelang.

Pilzkrankheiten nutzen die Wunden.

Der Ertrag fällt zwei, drei Jahre aus.

Warum also überhaupt umveredeln?

Weil es im Vergleich zur Neuanlage schnell ist, wenn auch nicht zwingend billiger. Die alten Wurzeln bleiben im Boden. Die Rebe ist eingewachsen, wurzelt tief, kennt den Standort. Wasserstress? Kaum Thema. Die neue Sorte kann davon profitieren.

Ein Weinberg, der komplett neu gepflanzt wird, ist erstmal fünf Jahre tot: Pflanzjahr, Aufbau, erster kleiner Ertrag, irgendwann dann brauchbare Qualität. Für Spitzenqualität ziehen dann nochmal mindestens 10 Jahre ins Land. Beim Umveredeln kann es schon im zweiten Jahr wieder Trauben geben. Und das mit ähnlich bis gleicher Qualität wie zuvor.

Warum es manchmal besser ist, gleich neu zu pflanzen

Weil ein Flickwerk nicht immer glücklich macht. Der Aufwand der Rebpflege ist zu hoch. Die Drahtrahmen passen vielleicht nicht. Die Pflanzabstände auch nicht. Oder weil man die Gelegenheit nutzen will, den Weinberg nochmal grundsätzlich besser zu machen: neue Zeilenbreite, andere Unterlage, bessere Stockausrichtung, Bodenbearbeitung von Anfang an.

Meine Meinung

Umveredeln ist eine grandiose Sache. Wenn man weiß, was man tut. Und wenn es zum Standort passt. Ich habe es selbst bei vielen Betrieben gesehen: Es kann den Unterschied machen. Aus einem Ladenhüter wird plötzlich ein Renner.

Aber: Es ist nichts für Romantiker. Es ist ein brutaler, wirtschaftlicher und extrem aufwendiger Eingriff. Und manchmal gehört dazu auch, sich einzugestehen, dass ein kompletter Neuanfang langfristig der klügere Weg ist.

Fazit

Umveredeln ist der schnellste Weg zum Sortenwechsel. Aber nicht immer der beste. Es ist eine von vielen Optionen im Werkzeugkasten der Winzer. Wer es macht, sollte wissen, warum. Und was er sich davon verspricht.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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