Es gibt Weingüter, die muss man nicht verteidigen. Sie erklären sich selbst. Robert Weil gehört für mich seit Jahren dazu. Man kann über Weil diskutieren – über „Klassik“, über Stil, über fehlende Edgyness. Meinetwegen. Aber wer 30 Jahre lang konsequent denselben Faden spinnt und damit einen der klarsten, unverwechselbarsten Rieslingstile Deutschlands etabliert, der hat schlicht etwas verstanden, was viele andere noch suchen: Identität. Präzision. Haltung? Nein, das Wort möchte ich nicht verwenden. Also sagen wir: Charakter.
Max Kaindl, 08. Dezember 2025
Lesezeit etwa 5 Minuten
Robert Weil 2024 –
ein Jahrgang, der leise spricht, aber präziser denn je trifft

Zu Besuch in Kiedrich
Und genau deshalb fahre ich jedes Jahr wieder nach Kiedrich. Weil ich wissen will, wie dieser Charakter im neuen Jahrgang klingt. Und 2024 klingt überraschend fein. Straffer. Kühler. Klarer. Ein Jahrgang, der zeigt, warum Berglagen heute Gold wert sind und warum Kiedrich in der Zukunft vermutlich eher weiterhin zu den Gewinnern des Klimawandels zählen wird.
Im August saß ich einen Nachmittag mit Robert Weil am Tisch und habe intensiv mit ihm über die Weine aus 2024 diskutiert. Zusammen mit seiner Schwester Marie-Charlotte und einem dynamischen jungen Team bildet er die nächste Generation des Weinguts, die so langsam mehr und mehr in die Verantwortung wächst.
Meine Tasting Notizen
Die trockenen Rieslinge
2024 unter dem Mikroskop
Rheingau Riesling 2024, Gutswein
Grün, saftig, messerscharfe Säure, leichtfüßig und klar wie frisches Quellwasser. Weißer Pfirsich, helle Blüten, null Schminke. Ein Gutswein, der zeigt, was Weil selbst im Fundament abliefert. Und warum dieses Weingut seit Jahrzehnten so erfolgreich ist. Macht sofort Spaß und bleibt dabei ernst. Ein Benchmark-Gutswein.


Kiedricher Riesling 2024, Ortswein
Mehr Druck. Mehr Salz. Mehr Länge. Ein Ortswein, der den Gutswein nicht einfach erweitert, sondern präzise schärft. Kristallin, steinig, fein gebaut. In der Balance nahezu vorbildlich.
Klosterberg 2024, VDP Erste Lage
Ein Klosterberg, der für mich anders klingt als sonst. Heller, spitzer, rassiger. Überraschend hohe Säure, null gelbe Breite, viel Stein. Für mich ein unerwartetes Highlight, gerade weil er sich in 2024 gegen seine sonst gewohnt gelbe Aromatik stellt.


Turmberg Riesling 2024, VDP Erste Lage
Der Turmberg, wie ein Drahtseil gespannt. Kühl, zart, glasklar. Säure wie eine Lichtlinie. Tanzend, vibrierend, fast schwebend. Kein Wein für Menschen, die Schmelz suchen. Aber der vielleicht cleverste Turmberg seit 2017 – und einer der fokussiertesten trockenen Rieslinge des Jahrgangs überhaupt.
Monte Nostrum 2024
Saftiger, dichter, mehr Kern. Ein Hauch Hefe, ein Hauch mehr Körper als Turmberg, aber dieselbe Handschrift: Klarheit, Struktur, Zug. Ein Paradebeispiel für trockenen Rheingau, das einigen Kollegen in der Region als Benchmark dienen könnte.
Zugegeben, ich war mit den ersten Jahrgängen dieses Weines angesichts des doch ambitionierten Preises auf dem Place de Bordeaux etwas skeptisch und kritisch. In 2023 blitze zum ersten Mal das Potenzial dieses Weines durch. 2024 bestätigt dies und lässt mich mit großer Freude auf die Zukunft dieses Weines blicken.


Gräfenberg Riesling 2024, Grosses Gewächs (GG)
Leise, fast scheu beim ersten Kontakt. Mit Luft dann ein Ereignis: tief, salzig, vibrierend. Perfekte Phenolik, lang, steinig, präzise wie ein Skalpell. Ein GG für die „Ich warte erst mal fünf Jahre“-Fraktion. Und sie wird recht behalten.
Übrigens: Warten ist beim Gräfenberg essentiell. Es gibt nur wenige GGs in Deutschland, die so schüchtern, ja fast ausdruckslos, in ihrer Jugend sind und dann aber mit Reife derart strahlen, wie es dem Gräfenberg von Weil in vielen Jahrgängen gelingt. Leider wird dieser Wein in der „Freak-Szene“ oftmals nicht verstanden – oder will nicht verstanden werden. Das liegt aber schlicht daran, dass sie nicht warten und dazu tendieren, Weine zu früh in Schubladen zu stecken. Eine Tendenz, die ich vor allem in der jungen Sommelierszene mehr und mehr wahrnehme und mich beunruhigt. Aber das ist mal ein Thema für einen anderen Beitrag.
Monte Vacano 2023
Ein eigenes Kapitel. Reife Steinfrucht, dichter Körper, feiner Schmelz, salziges Finish. Fest gebaut wie immer, mit dieser typischen Weil’schen Erhabenheit. Braucht Luft und Zeit – und wird dann zu genau dem Wein, der mich vor Jahren so sehr fasziniert und mich an dieses Weingut gebunden hat.

Feinfruchtige und edelsüße Rieslinge
Der Jahrgang 2024 war ein Kuriosum: Bis zur TBA keine Botrytis. Null. Und das schmeckt man. Die Süßweine sind feiner, tänzelnder, klarer – weniger opulent, dafür präziser als in vielen Jahren zuvor. Das soll aber keine qualitative Bewertung sein. Vielmehr ein Hinweis auf die Charakteristik des Jahrgangs.
Rheingau Riesling Tradition 2024, Gutswein
Saftig, süffig, perfekt balanciert. Ein Wein, den jeder versteht – und den trotzdem nicht jeder so hinbekommt.


Rheingau Kabinett 2024, Gutswein
Normalerweise ist Weil’s Kabi für mich zu süß. 2024 nicht. Enorme Säure, schlanker Eindruck, spielerisch. Ein Kabi, der die alte Leichtigkeit wiederfindet.
Rheingau Spätlese 2024, Gutswein
Brav. Zu brav. Nicht fett, aber für mich zu wenig Spannung.


Turmberg Riesling Spätlese 2024, VDP Erste Lage
Rassig, dicht, fein – und doch fehlt der Kick, der diese Spätlese von „gut“ zu „wow“ schiebt.
Gräfenberg Riesling Spätlese 2024, VDP Grosse Lage
Komplexer als Turmberg, etwas reifer, ordentlich gebaut. Guter Stoff, wenn auch nicht ikonisch.
Eine der wenigen Jahrgänge, in der mir die Gräfenberg Spätlese doch deutlich besser gefällt als die aus dem Turmberg. Es zeigt sich einmal mehr, dass in kühleren, feuchteren Jahren die höhere Grundreife des Gräfenberg zu komplexeren Weinen führt.


Turmberg Riesling Auslese 2024, VDP Erste Lage
Federleicht, salzig, kristallin. Eine Auslese, die eigentlich eine Spätlese sein möchte – und mich genau deshalb so überzeugt.
Gräfenberg Auslese 2024, VDP Grosse Lage
Mehr gelbe Frucht, mehr Energie als im Turmberg, fantastische Balance. Null Fett. Ein Musterbeispiel für moderne Leichtigkeit.


Gräfenberg Auslese Goldkapsel 2024, VDP Grosse Lage
Jetzt wird’s ernst. Präzise, elegant, fast nobel zurückhaltend. Süße und Säure im perfekten Gleichschritt. Zart und dennoch druckvoll im Finish. Ein Gedicht.
Wer einmal das Glück haben sollte, diese Auslese im Glas zu haben, wird verstehen, warum die Süßweine von Robert Weil bereits in der Kaiserzeit zu den begehrtesten Weißweinen der Welt zählten.
Gräfenberg BA 2024, VDP Grosse Lage
Dicht, honigwürzig, aber erstaunlich tänzelnd. Nicht schwer, nicht klebend. Eine feine, subtile BA. Manche würden hier den Druck und die Öligkeit einer „klassischen“ BA vermissen. Verständlich. Da hier aber keine Botrytis enthalten ist, ist das eher eine sehr spezielle, ja fast unique BA. So ist sie auch zu trinken.


Gräfenberg TBA 2024, VDP Grosse Lage
Keine Wuchtbrumme. Keine Ölspur. Sondern eine TBA, die schwebt: Kräuter, gelbe Frucht, rassige Säure, maximale Länge. Für meinen Geschmack könnte sie noch etwas mehr Punch haben – aber der Jahrgang gibt eben den Ton an, nicht der Winzer.
Das Fazit – Warum Weil 2024 liefert, während andere kämpfen
Nach diesem Nachmittag war für mich eines klar: Die Weine von Robert Weil zeigen in 2024 brutal deutlich, warum Lage und Höhenprofil heute über Sieg oder Niederlage im Riesling Game entscheiden.
Während weite Teile des Rheingaus mit Fäulnis kämpften, stand Weil dank Kiedrichs Höhenlage, Drainage und Kühle wie ein Fels im Sturm. Weniger Botrytisdruck, weitestgehend saubere Trauben, lange Reife. Die Oechsle stiegen langsam, aber sie stiegen – und die Säure blieb.
Das Ergebnis?
Feine, präzise, glockenklare Weine, die den Markenkern des Weinguts perfekt transportieren: Struktur, Balance, aber vor allem Präzision in der Frucht. Robert Weil 2024. Riesling Klassik auf Weltklasse-Niveau.
Und ja, ich weiß, dass die laut schreiende „Alles muss reduktiv und wild sein“-Fraktion diese Weine gern belächelt. Von mir aus. Aber Weils Beständigkeit, Reifefähigkeit und Präzision über Jahrzehnte sind kein Zufall. Das schafft man nicht mit Stilwechseln, nicht mit modischen Gäraromen, nicht mit Attitüde. Sondern mit Können.
Ich war Fan. Ich bin Fan. Ich bleibe Fan. Und die Weine von Robert Weil in 2024 bestätigen genau das.



