„Komm, es wird groß.“ Das war die einzige Notiz, die ich vorab bekommen hatte. Ein Satz, der im Neno-Universum mehr wiegt als jedes ausführliche Tasting-Menü. Wer ihn kennt, weiß: Wenn Neno ruft, wird es legendär. Und so kam es – zu einem Abend, der mich sprachlos zurückließ. Und das will was heißen.
Max Kaindl, 19. Mai 2025
Lesezeit etwa 4 Minuten
Legenden Abend mit gereiften Weinen –
Ein Blind Date mit der Geschichte

Vier Meinungen, ein Ziel: Wahrheit im Glas
Wir waren zu viert: Neno, Geschäftsführer von WeinArt, der gereifte Klassiker nicht nur liebt, sondern lebt. Seine Frau Iris, charmant, scharfzüngig, mit dem präzisesten Geschmackssinn des Abends. Grigol, der stille Stratege, ein wandelndes Lexikon mit messerscharfen Analysen. Und ich – neugierig, vorfreudig und, wie sich später herausstellen sollte, ab und zu auf dem Holzweg.
Blind war an diesem Abend Programm. Die Weine kamen verpackt, serviert in weißen Gläsern. Nur die Farbe verriet, was im Glas lag. Der Rest: pures Rätselraten.
Schlossberg, Latour & ein 47er Gutswein, der alles sprengt
Der jüngste Wein? 2003. Breuer, Berg Schlossberg. Der älteste? Ein Bourgogne Rouge von Colombet. Jahrgang 1947. Ein Gutswein. Kein Grand Cru, kein Premier Cru. Ein einfacher, verdammter Bourgogne. Und er stand da. Frisch, lebendig, animierend. Wie bitte kann ein 78 Jahre alter Gutswein noch so viel Energie ausstrahlen? Ich war fassungslos. Es war einer dieser Momente, die man nie mehr vergisst.
Und es blieb nicht der einzige.
Latour 1978. Latour 1987. Keine mythischen Jahrgänge – aber was für Weine! Fein, kühl, präzise. Wie flüssiger Samt mit intellektuellem Tiefgang. Zeitlose Bordeaux-Puristik. Kein Muskelspiel, keine Show. Einfach nur Stil. Und dann wieder totale Verwirrung: Eine Flasche, die ich irgendwo zwischen Nahe und altem Rheingau verortete, entpuppte sich als ein gereifter Elsässer Riesling – so schlank, so saftig, so fernab jeglicher Schwere. Ein Statement gegen das Vorurteil von barockem Volumen, das dieser Region heute – leider zu oft zurecht – nachgesagt wird.










Verirrt? Vielleicht. Gelernt? Auf jeden Fall.
Doch genau das war das Spannende: Nichts war sicher, nichts vorhersehbar. Unsere Runde war wach, offen, hochkonzentriert – und trotzdem lag man auch mal völlig daneben. Um Jahrzehnte. Und wisst ihr was? Es war egal. Genau das war das Beste daran. Denn bei solchen Abenden geht es nicht ums Gewinnen. Es geht ums Verstehen. Ums Lernen. Um Neugier. Und um Demut.
Demut auch vor dem Fakt, dass Säure nicht verschwindet. Nicht nach 20 Jahren, nicht nach 40. Weine aus kühlen, schwierigen Jahren zeigen es brutal ehrlich. Säure bleibt. Sie kann tragend sein – oder beißen. Aber sie verschwindet nicht. Auch das hat dieser Abend gelehrt.
Und noch etwas: Die Burgunder-Gutsweine früherer Jahrzehnte – 90er, 70er, selbst späte 40er – können eine Zartheit und innere Schönheit entwickeln, die mich tief bewegt hat. Ob das mit den heutigen ebenfalls so sein wird? Ich habe Zweifel. Alkoholgrade jenseits der 14 Prozent, dunkle Konzentration und Kellertechnik könnten der Eleganz auf lange Sicht im Weg stehen. Das Burgund alter Schule schmeckt anders.
Und was bleibt?
Was ich aus diesem Abend mitgenommen habe? Eine Menge. Vor allem aber: Respekt. Respekt vor den Winzern, die vor Jahrzehnten unter ganz anderen Bedingungen arbeiteten – und Weine schufen, die noch heute erzählen. Respekt vor der Kuratierung. Denn so ein Abend fällt nicht vom Himmel. Und vor allem: Respekt vor der Offenheit. Die Bereitschaft, sich in dieser Runde auch mal zu irren, sich zu blamieren, laut zu denken und gemeinsam zu entdecken – das war das, was diesen Abend groß gemacht hat.
Danke, Neno. Für diesen Legendenabend. Für die Flaschen. Für die zahlreichen Geschichten zu den Weinen. Für das Vertrauen. Ich werde ihn so schnell nicht vergessen. Und falls du nochmal schreibst: „Komm, es wird groß.“ – ich bin da. Sofort.


