Ich war Ende März wieder dort, wo alles für mich begann: an der Mosel. Vier Tage, zwölf Winzer, zahllose Gespräche, Fassproben und Flaschen aus tiefen Kellerschächten, deren Etiketten vom Staub vergangener Jahrzehnte überzogen waren. Es war intensiv. Und ich kam zurück mit einer Mischung aus Faszination, Frust und einem dringenden Bedürfnis, diesen Text zu schreiben. Denn was ich an der Mosel erlebte, war kein gewöhnlicher Besuch in einer Weinregion. Es war eine Bestandsaufnahme einer der größten weinkulturellen Schätze der Welt – und einer Region, die gerade dabei ist, sich selbst zu marginalisieren.
Max Kaindl, 07. April 2025
Lesezeit etwa 6 Minuten
Lagebericht Mosel – es ist Zeit aufzuwachen
Die Mosel ist anders. Und genau das ist ihr Problem.
Ich liebe die Mosel. Wirklich. Diese feinfruchtigen Rieslinge, tänzelnd leicht, mit messerscharfer Säure und dieser kristallinen Klarheit – das ist Weltklasse. Keine andere Region kann das. Punkt.
Aber genau diese Einzigartigkeit wird gerade mit Füßen getreten.
Die Mosel verhält sich oft wie ein abgeschiedenes Bergdorf. Hier ticken die Uhren langsamer, vieles ist noch analog, der Nachbar nicht Partner, sondern potenzieller Feind. Während andernorts längst verstanden wurde, dass die eigentliche Konkurrenz nicht der Winzer im Nachbarort ist, sondern der Supermarktwein aus Neuseeland oder Apulien, herrscht an der Mosel noch die Denke von 1987. Zusammenarbeiten? Gemeinsam vermarkten? Sinnvolle Preisstrukturen schaffen? Fehlanzeige.
Was mich am meisten schockiert hat: Das Preischaos. Da steht ein Großes Gewächs für 23€ neben einem anderen für 85€ – beide mit demselben Label, demselben Qualitätsversprechen. Das ist nicht nur absurd, sondern zerstört Vertrauen. Wie soll ein Konsument da noch verstehen, was Qualität ist? Wer ein GG unter 30€ anbietet, hat den Schuss nicht gehört – oder will bewusst den Markt kaputt machen.
Angst frisst Mosel auf
Was die Region lähmt, ist Angst. Angst, zu teuer zu sein. Angst vor Innovation. Angst vor dem Mindestlohn, der – so hart es klingt – viele kleinere Betriebe endgültig aus der Bahn werfen könnte. Natürlich ist das bitter. Aber Augen zu und weiter so ist keine Strategie, sondern ein Todesurteil.
Ich sage das nicht, weil ich die Region schlecht machen will. Im Gegenteil. Ich sage das, weil ich nicht zusehen kann, wie ein Unikat auf dem Altar der Eigensinnigkeit geopfert wird.
Der Trockenwahn – eine Sackgasse
Seit Jahren schleicht sich ein gefährlicher Trend ein: Der Trockenwahn. Alles muss plötzlich trocken sein, selbst in den steilsten Schieferlagen, wo der Wein eigentlich schreit: „Ich will Frucht!“ Warum um Himmels willen kopiert man Stile, die anderswo besser gelingen? Warum verabschiedet man sich freiwillig von Weinen, die einst Maßstäbe setzten?
Kabinett, Spätlese, Auslese – echte, feinfruchtige Prädikatsweine – sind keine Relikte. Sie sind Zukunft, wenn man sie richtig erzählt. Mit weniger Alkohol, mehr Spiel, mehr Herkunft. Wer heute weniger Alkohol will, weniger Wucht, mehr Frische – findet all das hier. Und doch kommuniziert es keiner.
Marketing aus der Mottenkiste
Die Auktionen? Ein Trauerspiel. Wer fünfstellige Beträge für Wein ausgeben will, erwartet keine Tagungshotel-Atmosphäre mit Neonlicht und Filterkaffee. Wo bleiben die Geschichten, die Bühnen, die internationale Presse, die Sommeliers? Wer die Welt erreichen will, muss auch bereit sein, sie einzuladen. Stattdessen bleibt man lieber unter sich – und wundert sich dann, dass die Welt nicht zuhört.
Was passieren muss – jetzt.
Zurück zu den Wurzeln: Raus mit dem zu hohen Mostgewicht. Kabinett muss wieder Kabinett sein. Spätlese darf keine versteckte Auslese sein. Authentizität schlägt alles – auch im Glas.
Raus aus der Komfortzone: Kooperation statt Konkurrenz. Gemeinsame Preisstrukturen, klare Qualitätskommunikation und ein Ende des Dumping-Irrsinns.
Stärkerer Fokus auf Fruchtsüße und Essensbegleitung: Die Kombination aus Süße, Säure, Eleganz und Leichtigkeit passt besser zu moderner Küche als jeder Amarone. Warum wird das nicht kommuniziert?
Richtiges Marketing: Nicht mehr „früher war alles besser“, sondern „was macht uns heute einzigartig?“. Und dann raus damit in die Welt.
Fazit
Die Mosel ist kein Museum. Sie ist kein nostalgisches Fotomotiv für Weinfreaks. Sie ist, oder besser: könnte, eine der wichtigsten Fine-Wine-Regionen der Welt sein. Aber dafür muss sie jetzt handeln. Und zwar gemeinsam, mutig, visionär.
Ich schreibe das aus Sorge. Und aus Hoffnung. Denn ich weiß, was die Mosel kann. Ich habe es in diesen vier Tagen wieder gespürt, geschmeckt, gesehen. Und ich will, dass auch kommende Generationen das noch können.
Es ist Zeit aufzuwachen.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Hi Maximilian,
Sorry about German, that I cannot decently write.
I am 100% on your boat about the Trockenwahnn, even though the climate change has already considerably tamed the acidities and many producers craft genuine successes in the genre. Yet, indeed any comparison between the Prädikat and the trocken of the same Lage favors the former.
As far as the VST are concerned, I have to say that I adore that „Gemeinschaft“ aspect of it where all the community gathers and have some fun. Seen from my French POV, I cannot really feel the feud between the Grosser Ring or Ring 1899’s members.
As a wine geek, you are aware anyway that the whole industry is filled with unfair biaises that influence much more the price that the genuine quality. The merchant cartel still respect a fairly hierarchy between the producers and it remains quite set in stone, i.e : Willi Schaefer has a gilded age in the glass yet its VST remain quite steady while JJ has been to me in the dark side of the moon, yet remains number 2.
Will you publish the full report or is it basically the abstract btw ?
VG,