Es gibt Orte im Weinuniversum, die funktionieren völlig anders. Keine Bühne, kein Spotlight, kein Marketing-Gewitter. Einfach nur Substanz. J.J. Prüm ist genau so ein Ort – eine Legende an der Mosel, die mehr flüstert als schreit. Ende März war ich vor Ort. Und was ich probiert habe, war faszinierend. Aber auch ein Fingerzeig.

Max Kaindl, 07. April 2025
Lesezeit etwa 4 Minuten

J.J. Prüm 2023 – Wenn Legenden neue Wege finden müssen

2023 – Hochcharmant. Aber Prüm?

Der neue Jahrgang zeigt sich von einer ungewohnt zugänglichen Seite. Weniger Reduktion, weniger Schwefelton, mehr Frucht im Vordergrund. Der Vorhang, den junge Prüm-Weine sonst erst nach Jahren beiseite ziehen, wurde dieses Mal schon leicht gelüftet. Und das sorgt für Charme – keine Frage. Die Weine wirken sofort einladend, ja fast geschmeidig.

Vor allem die Spätlesen überzeugen. Sie bilden die Spitze des Jahrgangs: saftig, präzise, mit Spiel, Länge und Eleganz. Das ist große Klasse. Aber: die Kabinette wirken für mich etwas zu reif gelesen. Sie verlieren dadurch an Spannung, an dieser elektrisierenden Leichtigkeit, die ein Prüm-Kabi in seiner besten Form ausmacht. Es fehlt das Flirren. Der Nerv. Und genau hier liegt für mich die zentrale Herausforderung.

Natürlich ist das Kritteln auf hohem Niveau – keine Frage. Aber mir ist wichtig, ehrlich zu bleiben. Ich bin kein Kritiker, der mit der Machete durch einen Jahrgang geht, das war nie mein Stil. Ich will nicht zerreißen – ich will einordnen. Und dazu gehört, auch leise Verschiebungen anzusprechen, wenn sie mir auffallen.

Meine 2023 Highlights

Graacher Himmelreich Riesling Spätlese, 2023

Fein, saftig, hellgelb – schon die Nase tänzelt vor Eleganz. Kühle Tiefe, helle Blüten, zarter Pfeffer und ein Hauch rote Johannisbeere. Am Gaumen dann glockenklar, offen und mit wunderbar saftiger Textur. Dicht gewoben, aber nie schwer. Umarmend im Ausklang, elegant bis ins letzte Detail.

Eine Spätlese, die Herz und Kopf gleichermaßen berührt.

Wehlener Sonnenuhr Riesling Auslese, 2023

Gelbfruchtig und würzig, dabei intensiv, aber mit schwebender Leichtigkeit. Am Gaumen dann pure Energie: rassige Säure trifft auf saftige Dichte, alles getragen von einer gebirgsflüssigen Klarheit. Kein Gramm zu viel, nichts beschwert – das ist Ausdruck, der nicht schreit, sondern singt.

Himmelschreiend schön.

Wehlener Sonnenuhr Riesling Auslese Goldkapsel, 2023

Ein Kraftpaket in Maßanzug. Hochkonzentriert und doch zart, mit glasklarer, gelber Frucht, die reif ist, aber nie überladen wirkt. Am Gaumen wahnsinnig lang, unglaublich balanciert und mit feinster Textur. Die Säure durchzieht alles mit Spannung, während die Frucht golden leuchtet.

Eine Auslese wie aus dem Lehrbuch – und weit darüber hinaus.

Der Klimawandel verlangt neue Präzision

Dass die Reifephasen sich verschieben, ist keine Theorie mehr – es ist Alltag. Die Lese muss heute früher, präziser, kompromissloser erfolgen. Sonst ist die Traube zwar physiologisch perfekt, aber stilistisch vorbei am Ziel. Was früher eine Tugend war – zu warten, bis die Reife einsetzt – kann heute zum Risiko werden.

Und das betrifft gerade ein Haus wie J.J. Prüm. Denn sein Ruf gründet sich auf Spannung, Rasse, Langlebigkeit. Auf Weine, die Zeit brauchen – und dafür Zeit schenken. Wer das erhalten will, muss alte Routinen hinterfragen. Nicht alles, was gestern richtig war, funktioniert auch morgen. Die große Kunst wird es sein, den Stil zu bewahren, ohne sich gegen notwendige Anpassungen zu sperren.

Der Keller bleibt ein Mythos – die Flasche spricht

Prüm lässt den Keller sprechen, indem er ihn verschweigt. Kein Außenstehender darf ihn betreten, kein Technik-Gefasel, keine Stilbruch-Experimente. Der Fokus liegt kompromisslos im Weinberg. Und das funktioniert – seit Jahrzehnten. Denn wenn man eine 2004er Wehlener Sonnenuhr Spätlese im Glas hat, die heute so präzise, klar und vibrierend dasteht wie ein Uhrwerk, weiß man: Hier entsteht Riesling für die Ewigkeit.

Aber Ewigkeit ist kein Selbstläufer. Sie muss immer wieder neu erarbeitet werden – mit wachen Augen, wachem Kopf und dem Mut, den eigenen Kompass neu zu justieren, wenn es die Bedingungen erfordern.

Gereifte Highlights

Graacher Himmelreich Riesling Spätlese, 2015

Würzig und gereift, mit klarer, mineralischer Tiefe. Getrocknete Ananas, ein Hauch rote Johannisbeere – alles fein verwoben, reif, aber lebendig. Am Gaumen kristallin, präzise und hoch elegant. Ein Süß-Säure-Spiel, das gleichermaßen fesselt und trägt.

Zart, einnehmend, wunderschön balanciert.

Graacher Himmelreich Riesling Auslese, 2015

Rote Würze, helle Intensität – tief und doch leichtfüßig. Am Gaumen dann glockenklar, lebendig, mit rotfruchtiger Energie und faszinierender Präzision. Kein Gramm Überfluss, nur Tiefe und Strahlkraft. Ewig lang, hochfein und in sich vollkommen.

Eine Auslese, die unter die Haut geht.

Wehlener Sonnenuhr Riesling Spätlese, 2004

Kühl, leise, mit gläserner Präzision. In der Nase fast ätherisch – feine gelbe Frucht, kaum Reife, viel Luft und Licht. Am Gaumen fließt sie wie Gebirgswasser: kristallklar, lebendig, balanciert, voller Finesse.

Ein tänzelndes Gaumenspiel, so still wie stark. Und doch unvergesslich.

Bernkasteler Lay Riesling Auslese, 1998

Die Quintessenz von Reife und Eleganz. Kühle Nase, präzise Frucht, alles glockenklar – kaum Reifetöne, stattdessen gelbe Steinfrucht, Frische, Tiefe. Am Gaumen ein tänzelndes Kunstwerk: perfekte Balance, lebendige Säure, endlose Länge. So fein, so still, so vollkommen.

Eine flüssige Meditation.

Fazit: Große Weine, große Verantwortung

2023 ist kein typischer Prüm-Jahrgang. Er ist offener, charmanter, direkter – das wird vielen gefallen. Aber wer die Marke Prüm liebt für das, was sie ausmacht – Eigenwilligkeit, Kühle, Tiefe, Zeitlosigkeit – wird genau hinsehen. Die Spätlesen sind groß. Die Kabinette erzählen von einem Jahrgang, der mit neuen Realitäten ringt.

Prüm bleibt Prüm – wenn sie den Mut aufbringen, mit der Zeit zu gehen, ohne ihr Wesen zu verlieren. Das ist der Weg, um Legende zu bleiben.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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