Manchmal stolpert man über Orte, die so voll von Geschichte sind, dass man kurz innehält, die Luft anhält und das Ganze einfach wirken lässt. Castell ist so ein Ort. Eingebettet in die sanften Hügel des Steigerwalds liegt das Fürstlich Castell’sche Domänenamt – ein Weingut, das seit 26 Generationen in Familienhand ist. Hier, wo im Jahr 1659 die ersten Silvanerreben Deutschlands gepflanzt wurden, trifft tief verwurzelte Tradition auf einen erstaunlich frischen Wind.

Max Kaindl, 15. Dezember 2024
Lesezeit etwa 5 Minuten

Castell – der Geburtsort des deutschen Silvaners

Castell – Geschichte, Gipskeuper und ein Blick in die Zukunft

Mein Tag begann im kühlen, atmosphärischen Keller des Weinguts, wo mich Marius – Vertriebsmitarbeiter bei Castell – empfing. Bereits der erste Schritt durch die schweren Holztüren war beeindruckend.

Marius zeigte mir die zahlreichen alten Holzfässer, gefertigt aus Eichen des eigenen Waldes, die direkt oberhalb der Reben wachsen. „Das Terroir endet nicht an der Weinberggrenze“, meinte er mit einem Augenzwinkern, während er auf die feinporigen Fässer deutete. Und tatsächlich: In Castell ist das Terroir nicht nur eine Marketingphrase, sondern ein gelebtes Konzept. Der Gipskeuper – dieser mineralreiche, rare Boden – zieht sich durch den gesamten Betrieb. „Ohne unseren Boden gäbe es unsere Weine so nicht“, erklärte Marius und betonte, wie sehr man bei Castell auf ein Zusammenspiel von Boden, Zeit und Handwerk setzt.

Die Tradition ist hier allgegenwärtig, aber das Weingut Castell bleibt nicht stehen. Seit einigen Jahren wird mit noch mehr Fingerspitzengefühl im Keller gearbeitet: Spontangärung bei den Lagenweinen, bewusst längeres Hefelager und ein wachsames Auge auf die Reifezeit. „Unsere Weine brauchen Zeit – wir geben sie ihnen mehr und mehr“, sagte Marius, als wir die Treppe hochgingen, um genau das zu probieren: Weine, die Zeit hatten, sich zu entwickeln.

Verkostung mit Geschichte

Im neuen Degustationsraum, direkt neben der zeitlos-modern gestalteten Vinothek, standen die Flaschen bereit. Doch bevor ich den ersten Schluck nahm, erzählte Marius von den bevorstehenden Veränderungen: Das Weingut plant, den Weinen noch mehr Zeit auf der Flasche vor dem Verkauf zu geben und will künftig noch stärker auf regenerative Landwirtschaft setzen. „Nachhaltigkeit ist keine Option, sie ist Pflicht. Das wird bereits seit Generationen bei uns gelebt“, erklärte er – ein Satz, der nachhallte.

Und die Weine?

Tasting Notizen

Blanc de Blancs Brut
(18 Monate Hefelager,
70% Silvaner)

Zitrus küsst Mineralik! Eleganz in Reinform, saftige Frische, subtil vegetabile Noten und ein Hauch von Stein. Animierend bis zum letzten Tropfen – der perfekte Aperitif.

Can „tell me“ white, 2023

Sommer im Glas! Easy Drinking pur: blumig, duftig, saftig – der Partywein, der nie aufhört Spaß zu machen. Sonnenschein für jeden Tag!

Casteller Silvaner trocken, 2023

Würzig und wild! Kräuter, Fenchel und ein Hauch Rauch. Kühle Mineralik trifft auf kohlige Spannung im Abgang. Geradlinig und präzise – ein Charakterkopf!

Casteller Kugelspiel Silvaner trocken, 2022

Zurückhaltende Raffinesse! Reduktive Spannung, kräuterige Frische und eine spritzige Säure – lebendig und lang, mit einem Hauch trocknendem Kick. Kugelspiel auf hohem Niveau.

GRANIT trocken, Alter fränkischer Satz, 2019

Ein echter Charakterwein! Frische Ananas trifft auf Bitterkeit und Rosenanklänge. Struktur und Säure sorgen für Spannung – harmonisch, komplex, mit leicht rauem Charme.

Schlossberg Silvaner GG, 2019

Kraftpaket mit Stil! Salzige Mineralik, reife Frucht und Chilli-Würze. Saftig, spicy und herrlich lang. Balance, Dichte, und ein Finish, das nicht aufhören will. Wow!

Spätburgunder trocken, 2022

Dunkel und tiefgründig. Präzise rote Frucht, erdige Würze und packende Tannine. Ein Pinot, der Struktur mit Spannung verbindet – schlank, aber voller Potenzial.

Reitsteig Spätburgunder 1G, 2022

Frucht trifft Finesse! Lebendige Frische, klare rote Beeren und ein Hauch Rauch. Perfekt balanciert zwischen Tannin und Frucht – filigran, strukturiert, herrlich lang. Ein Burgunder-Traum!

Hoch hinaus – die Weinberge von Castell

Nach der Verkostung ging es in den Weinberg – und das war der Moment, in dem Castell seine ganze Magie entfaltete. Der Blick vom Casteller Schlossberg über die sanft geschwungenen Hügel, die kleinen Dörfer, die wie Perlen im Tal verstreut liegen, und die perfekt gepflegten Reben, die in Reihen fast wie militärisch geordnet wirken – es war überwältigend.

Marius sprach hier mit einer spürbaren Leidenschaft über die Arbeit im Weinberg: „Der Gipskeuper gibt uns etwas Einzigartiges, aber er verlangt auch viel. Die Reben hier müssen kämpfen, aber genau das bringt die Spannung in die Weine.“ Besonders stolz ist Castell auf seine Monopollagen, allen voran den Schlossberg, der ausschließlich mit Silvaner bepflanzt ist. „Wir lieben Silvaner“, sagte Marius mit einem Grinsen, als er auf die sattgrünen Blätter deutete. „Und wir sind uns sicher, dass seine beste Zeit erst noch kommt.“

Der Rundgang durch die Weinberge schloss mit einem Blick in die Zukunft: Die klimatischen Herausforderungen und der Wandel in der Weinwelt sind auch in Castell spürbar. Doch anstatt sich zu verstecken, stellt sich das Weingut Castell diesen Aufgaben mit einem klaren Ziel: langlebige, tiefgründige Weine zu schaffen, die nicht nur jetzt, sondern auch in Jahrzehnten begeistern.

26 Generationen und ein Blick nach vorn – Castell fasziniert

Das VDP Weingut Castell hat mich tief beeindruckt. Es zeigt, dass Tradition und Innovation kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig beflügeln können. Tradition trifft Innovation, Gipskeuper trifft Vision – Weingut Castell zeigt, wie man 26 Generationen Geschichte nutzt, um mutig nach vorne zu blicken. Castell besucht man nicht nur – man erlebt es.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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