Es gibt Orte, die Geschichten erzählen, und es gibt Menschen, die diese Geschichten neu schreiben. Die Domäne Serrig gehört zweifellos zu den Ersteren, Markus Molitor zu den Letzteren. Was passiert, wenn der Mann, der seit Jahrzehnten als unermüdlicher Architekt des deutschen Riesling-Weltklasse-Images gefeiert wird, ein Relikt der goldenen Saar-Ära aus dem Dornröschenschlaf reißt? Die Antwort lautet: ein Spektakel, das seinesgleichen sucht. Willkommen bei der Domäne Serrig, einem Monument, das schon Kaiser Wilhelm II. als Riesling-Kathedrale inszenierte – und das Molitor nun mit fast beängstigender Akribie und Energie neu erfindet.

Max Kaindl, 20. November 2024
Lesezeit etwa 4 Minuten

Domäne Serrig –
Kaiserlicher Glanz, moderner Anspruch

Die Fakten allein klingen schon wie der Stoff aus einem PR-Traum: 25 Hektar, steiler geht’s nicht. Ein Steilhang-Monopol, Süd-Südwest-Exposition, kühles Mikroklima. Und Riesling, klar. Alles Riesling, kompromisslos. Molitor will nichts weniger, als die DNA großer Saarweine wieder auferstehen lassen, mit einem Grand Vin und einem Kabinett, die so klassisch sind wie das Einmaleins der Mosel.

Der Glanz vergangener Zeiten

Die Ära um 1900 war die Blütezeit der Saarweine, ein goldener Moment in der Geschichte des deutschen Rieslings. Damals zählte die Saar zu den edelsten Weinregionen der Welt. Ihre Weine, insbesondere die besten Kabinette und Auslesen, übertrafen auf den Karten der Luxusliner und Grandhotels dieser Welt nicht selten die Preise der größten Burgunder und Bordeaux. Es war eine Zeit, in der die Saar als Synonym für Finesse und Prestige galt. Und genau in diese Epoche fiel die Gründung der Domäne Serrig – ein architektonisches wie vinophiles Statement, das Kaiser Wilhelm II. selbst als Symbol für Glanz und Gloria der deutschen Weinwelt inszenieren ließ.

Herausforderungen am Steilhang

Die 25 Hektar rund um die Domäne sind alles andere als gewöhnlich. Die steilen, teils fast alpinen Hänge mit bis zu 75 % Neigung stellen selbst erfahrene Winzer vor Herausforderungen. Das kühle Mikroklima auf Höhen zwischen 220 und 340 Metern verlangt ein akribisches Verständnis des Terroirs und der Reben. Und doch war die Domäne nach ihrer Privatisierung in den 1980er Jahren lange Zeit ein vergessenes Kapitel – bis 2016 Markus Molitor das Gut übernahm.

Ein kühner Schritt in die Zukunft

Molitor, der unermüdliche Taktgeber der Mosel, hat sich mit der Rekultivierung der Domäne Serrig einmal mehr einem Mammutprojekt verschrieben. Der Mann, der ohnehin schon für sein Hauptweingut und zahlreiche andere Parzellen Verantwortung trägt, stemmt hier eine zusätzliche Herausforderung, die kaum ein anderer wagen würde. Und er tut es mit einer Präzision, die beeindruckt.

Doch wie viel Glanz braucht es wirklich? Wenn der erste Jahrgang gleich mit 100 Parker-Punkten durch die Decke schießt, könnte man meinen, dass Molitor die Wiederbelebung perfekt gelungen ist. Aber darf man ihn auch hinterfragen? Die Entscheidung, die Weine über den Place de Bordeaux zu vermarkten, sorgt zwar für internationales Prestige, könnte aber ebenso als riskantes Experiment gelesen werden. Der Riesling als Bordelaiser Luxusgut – ein kühner Schritt, der entweder zur Legende wird oder scheitert. Denn wie viele Kunden der Place interessieren sich wirklich für die Saar?

Und die Weine?

Vogelsang Riesling trocken 2021

Der Wein ist ein Monument für die Saar: kristallin, spielerisch, voller Energie und doch strukturell so klar wie ein Diamant. Die Kombination aus Molitors kompromisslosem Handwerk und dem beeindruckenden Terroir ergibt einen Wein, der mit 100 Parker-Punkten für den Jahrgang 2020 nicht nur Kritiker überzeugt hat.

Dennoch: Ist ein Wein, der so perfekt ist, dass er fast unnahbar wirkt, noch etwas für den alltäglichen Genießer?

Vogelsang Kabinett 2021

Der Kabinett, dagegen, könnte als Hommage an die goldene Ära gelesen werden. Filigran, süß-salzig, beinahe schwerelos zeigt er, wie viel Eleganz in einer Flasche Saarwein stecken kann. Ein Wein, der in seiner kühlen Präzision und Finesse an die großen Kabinette von Egon Müller erinnert, aber mit Molitors unverwechselbarem Stil einen eigenen Weg geht.

Doch auch hier stellt sich die Frage: Für wen ist dieser Wein? Für Träumer und Sammler, sicher. Für den Alltag? Eher nicht.

Riesling zwischen genialem Wahnsinn und Kunstwerk

Man bewundert Molitor für seinen visionären Mut und seine Kunstfertigkeit. Doch man fragt sich auch: Muss deutscher Riesling wirklich immer das Glanzlicht einer Bühne sein? Oder verliert er dabei etwas von seiner Seele? Die Domäne Serrig ist beeindruckend, zweifellos. Aber sie zwingt uns, neu darüber nachzudenken, was großer Riesling heute sein soll – und für wen er gemacht ist.

Molitor spielt auf der Bühne der Weltklasse. Die Frage ist: Spielen wir mit?

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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