Der Wecker klingelt, es ist dunkel und kalt – und doch kribbelt die Vorfreude. Zwischen prallen Trauben, müden Muskeln und der Magie des ersten Erntetages beginnt mein Abenteuer im Weinberg. Es wird hart, aber jeder Moment fühlt sich richtig an. Tauche mit mir ein in die Welt, wo Sekt Geschichte schreibt.
Max Kaindl, 24. September 2024
Lesezeit etwa 9 Minuten
Meine Sektlese 2024 bei Raumland
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Zwischen Reben und Rückenschmerzen
Lese bei Raumland – Tag 1
Der Wecker klingelt viel zu früh, und draußen ist es noch stockdunkel. Ich stehe auf, werfe mir die Regenjacke über und schnappe meine wetterfesten Schuhe – Jan hatte recht, es würde kalt und windig werden. Als ich vor die Tür trete, ist die Luft klar und frisch, ein leichter Westwind setzt ein. Irgendwie fühlt es sich gut an, diese Art von Kälte, die wach macht. Vorfreude kribbelt in mir, auch wenn ich weiß, dass die nächsten Stunden hart werden.
Wir treffen uns im Weingut. Die Stimmung ist entspannt, fast familiär. Jan begrüßt mich mit einem etwas verschlafenen Grinsen und einem Kaffee in der Hand. „Gut geschlafen?“, fragt er, während er mir eine Rebschere in die Hand drückt. Ich nicke – ein bisschen verschlafen, aber das wird sich bald ändern.
Bürgel-Romantik
Es geht los. Heute sollen wir Pinot Noir aus der Lage Bürgel ernten. Die Trauben könnten in der finalen Cuvée des Triumvirat landen. Raumlands Vorzeige-Sekt. Der Gedanke gibt mir eine Extraportion Motivation. Wir fahren in den Bürgel, verteilen uns in den Rebzeilen, die Reben stehen dicht, die Trauben hängen schwer und prall an den Stöcken. Der Mond ist riesig, die Sonne schickt ihre ersten Strahlen über die Dächer von Flörsheim-Dalsheim. Das Licht ist fast mystisch. Der perfekte Start in meine Sektlese 2024.
Auf den Bürgel blickend, kommt mir ein Gedanke: Während südlich-östlich meiner Heimat in Sachsen, Niederösterreich und Tschechien die Fluten wüten, läuft in den deutschen Weinregionen alles weiter – als wäre nichts geschehen.
Der erste Schnitt.
Die Schere gleitet durch den Traubenstiel, und sofort fühlt es sich gut an. Die Trauben landen in der kleinen, roten Raumland-Kiste. Ich fühle mich Wohl bei dem Gedanken, dass diese kleinen, unscheinbaren Handgriffe in ein paar Jahren in einer Flasche Sekt enden werden. Irgendwo in einem Weinglas, irgendwo bei jemandem, der keine Ahnung hat, wie viel Arbeit in jeder dieser Perlen steckt. Es ist irgendwie beruhigend, dieser Gedanke, dass man hier etwas schafft, das bleibt.
Nach einer Stunde merke ich meine Finger und meinen Rücken. Die Arbeit ist zwar meditativ, aber körperlich fordert sie ihren Preis. Jede Traube will präzise geschnitten werden, keine darf beschädigt werden. Die Sonne kommt langsam durch, und für einen Moment wirkt alles perfekt. Jan läuft die Reihen ab, prüft die Trauben, nickt zufrieden. „Gute Qualität dieses Jahr“, sagt er, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich lächle, auch wenn ich zugeben muss, dass mein Laienauge kaum Unterschiede zwischen den Trauben sieht. Für mich sind sie alle wunderschön – und hoffentlich lecker.
Das Fernsehteam des ZDF Mittagsmagazins gönnt mir – Gott sei Dank – ein paar Minuten Pause von der Erntearbeit. Vier neugierige Journalisten löchern Marie-Luise, Katharina und Jan mit Fragen zur Sektlese und zum Ausbau im Keller.
Mittags geht es zurück ins Weingut. Heide-Rose, die gute Seele der Familie, hat für uns ein Mittagessen gekocht. Eine dringend benötigte Stärkung. 45 Minuten später – ich habe gerade einmal meinen Rücken etwas entspannen können – geht es wieder zurück in den Weinberg. Wir sind etwas hinter dem Zeitplan, quatschen wohl etwas zu viel.
Keller-Kinder
Nach ein paar weiteren Stunden merke ich, wie die Muskeln in meinen Schultern anfangen zu protestieren. Jan lacht, als er mich den Rücken strecken sieht. „Das ist nur der Anfang, warte mal ab, wie du dich morgen fühlst.“ Er hat ja recht. Aber was mich mehr überrascht, ist, wie sehr mir das Ganze trotz der Anstrengung Spaß macht. Wir sprechen viel über das Leben und den Weinbau, Strategien zu Vetrieb und Marketing. Die Zeit vergeht schnell, und ich fühle mich seltsam entspannt.
Am späten Nachmittag nimmt mich Jan mit nach Möhlsheim. Dort steht Raumland‘s Keller. Hier ist das Reich von Katharina und Kellermeister Kaise Kazuyuki. Ja, richtig gehört. Ein Japaner, ein hoch sympathischer. Bescheiden und stets mit einem Lächeln im Gesicht ist er eine tragende Säule für Raumlands. Und das bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Die beiden Pressen laufen, der erste Saft tritt langsam aus. Er schmeckt köstlich. Klar säurebetont aber dennoch wunderschön süß und fruchtig. Herrlich. Später zeigt mir Jan noch seine frisch geernteten und erst seit wenigen Tagen auf der Maische liegenden trockenen Pinots. Er vermarktet sie seit kurzem über seine eigene Marke WongAmat. Der aktuelle Jahrgang 2022 hat bereits für einigen Wirbel und Aufsehen in der europäischen Weinszene gesorgt. Und die 2024er Moste schmecken ebenfalls vielversprechend. 2023 befindet sich aktuell im Fass, zeigt sich ebenfalls bereits sehr schön, benötigt aber noch etwas Zeit im Fass.
Der Tag endet mit einem Abendessen am Weingut. Wir trinken verschiedene Rot- und Weißweine – der perfekte Abschluss eines anstrengenden, aber erfüllenden Tages. Wir stoßen an, und für einen Moment schweige ich einfach und genieße die Gesellschaft, das Wetter, die Aussicht. Ich bin stolz, Teil dieser Sektlese zu sein.
Lese bei Raumland – Tag 2
Heute morgen wache ich mit leichtem Muskelkater auf, aber das gehört wohl dazu. Der Tag startet ähnlich wie gestern, aber ich fühle mich bereits etwas routinierter. Jan begrüßt mich wieder mit seinem verschmitzten Grinsen, und ich weiß, was mich erwartet: Reben, Trauben, Sonne und jede Menge Arbeit.
Heute sind wir in einem anderen Abschnitt des Weinbergs, und die Trauben scheinen hier etwas kleiner und lockerbeeriger zu hängen. Es ist seltsam befriedigend, mit jeder Kiste, die sich füllt, ein kleines Stück näher an das Ziel zu kommen. Es fühlt sich fast wie eine sportliche Herausforderung an: Wie viele Reihen schaffe ich heute? Kann ich meinen eigenen Rhythmus verbessern?
Frauen-Power
Am späten Vormittag klart der Himmel auf, und plötzlich scheint die Sonne durch. Es wird warm, und ich reiße mir die Regenjacke vom Leib. Der Kontrast zum gestrigen Regen könnte nicht größer sein, und ich merke, wie die Stimmung bei allen Helfern noch einmal anzieht. Heute Lese ich hauptsächlich mit Marie-Luise. Sie ist Schwanger. Das hält sie aber nicht von der Sektlese ab. Sie erzählt mir Geschichten aus den vergangenen Sektlesen, von besonders gelungenen Jahrgängen und solchen, die ihr schlaflose Nächte bereitet haben. Es ist beeindruckend, wie sehr sie für die Sekte lebt. Die ganze Familie ist verrückt nach Sekt. Jede Flasche, jeder Jahrgang ist für sie ein Stück Geschichte, ein Kapitel ihrer Leidenschaft. Und das merke ich mehr und mehr über die letzten zwei Tage.
Müde aber glücklich
Als der zweite Tag zu Ende geht, bin ich körperlich erschöpft, aber innerlich vollkommen zufrieden. Es ist ein besonderes Gefühl, den Prozess der Sektlese und -herstellung so hautnah zu erleben, von der Rebe bis zur Lese. Ich schaue zurück auf die Weinberge, auf die Körbe voller Trauben, auf die Menschen, die sie gesammelt haben. Da ist diese stille Zufriedenheit, die sich in mir ausbreitet. Raumland ist nicht einfach nur ein Sekthaus, es ist ein Ort, an dem Handarbeit und Leidenschaft aufeinandertreffen. Und jetzt, nach diesen zwei Tagen, werde ich jeden Schluck ihres Sekts mit anderen Augen sehen.
Wieder denke ich an die Fluten in Niederösterreich und Tschechien. Wie nah sich diese Gegensätze doch sind: Hier, wo die Sonne durch die Wolken bricht und die Trauben glänzen, ernten wir in aller Ruhe die Früchte des Jahres. Dort, nur wenige hundert Kilometer entfernt, kämpft die Natur mit aller Gewalt. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, doch es macht diese Sektlese nur noch wertvoller.
Wenn ich das nächste Mal ein Glas Raumland Sekt in der Hand halte, werde ich nicht nur den Sekt schmecken. Ich werde den Morgenwind schmecken, den Boden an den Stiefeln, die stillen Momente zwischen den Reihen. Ich werde wissen, dass dieser Sekt eine Geschichte erzählt – eine, an der ich für zwei kurze Tage teilhaben durfte.