Wenn es um deutsche Weine geht, steht der Riesling ganz oben auf der Liste. Und wenn es um erstklassigen Riesling geht, führt kein Weg am Roten Hang vorbei. Dieses malerische Stück Land entlang des Rheins, zwischen Nackenheim und Nierstein gelegen, ist nicht nur ein geologisches Wunder, sondern auch die Wiege einiger der besten Weine Deutschlands. Aber was macht diesen Ort und vielmehr seine Weine so einzigartig?

Max Kaindl, 26. Mai 2024
Lesezeit etwa 6 Minuten

Roter Hang:
Eine Reise durch das Riesling Paradies am Rhein

Der Boden als Schlüssel zum Erfolg

Hierfür lohnt sich ein Blick in seine Bodenbeschaffenheit. Der Hang erhält seine rote Farbe durch den hohen Anteil von rotem, mineralstoffreichem Tonschiefer, einem 250 Millionen Jahre alten Urgestein aus der Perm-Zeit. Im mittleren Tertiär wurde diese Erdschicht freigelegt, als der obere Rheingraben einstürzte und das Mainzer Becken entstand. Als schmaler Streifen zieht sich der Tonschieferboden fünf Kilometer entlang des linken Rheinufers zwischen Nackenheim im Norden und dem südlichen Ortsrand von Nierstein. Im Gegensatz zum härteren blaugrauen Devonschiefer an Mittelrhein und Mosel hat dieses weiche, schnell verwitternde Urgestein eine völlig andere Struktur. Seine vielfältigen Mineralstoffe werden an die Rebstöcke abgegeben, was den Weinen ihren einzigartigen Stil verleiht. Der Boden ist zudem durchsetzt mit Rotschieferplatten, auf denen Spuren frühen Lebens zu finden sind. Diese sogenannten Fährtenplatten, die im Paläontologischen Museum Nierstein zu bewundern sind, enthalten die ältesten Insektenspuren Europas.

Mikroklima

Doch es ist nicht nur der Boden, der den Riesling am Roter Hang so einzigartig macht. Das exzellente Kleinklima, geprägt von der Neigung der Hänge nach Süden und Südosten, sowie der Schutz vor den rauen Winden des Rheins, schaffen optimale Bedingungen für den Anbau von Reben. Die Rebblüte beginnt hier früh, und eine lange Reifezeit ist de facto garantiert. Die Weine zeichnen sich durch ihre Finesse und ihren unverkennbaren rot-würzigen Charakter aus. Manchmal findet man auch Noten von roter Johannisbeere oder rotem Pfeffer. Im Gegensatz zu früher werden sie heutzutage meist trocken ausgebaut.

Riesling ist am Roten Hang der unangefochtene Platzhirsch. Zwar gibt es auch, dank ausgiebiger Pflanzungen von St. Antony, einen nennenswerten Anteil an Blaufränkisch in den GG Lagen, dennoch genießt der Riesling hier heute eine Monopolstellung. Früher standen die Reben im Mischsatz mit bis zu einem Drittel Silvaner.

Trotz ihrer Glanzzeiten haben die Weinbaugemeinden Nierstein und Nackenheim im Laufe des 20. Jahrhunderts an Renommée eingebüßt. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wollen wir in diesem Artikel nicht näher beleuchten. Dank Initiativen wie dem „Verein Wein vom Roten Hang“ werden die Lagen heute wieder ins Rampenlicht gerückt. Es ist dem unermüdlichen Einsatz von renommierten Weingütern wie Heyl zu Herrnsheim und aktuell vor allem Winzern wie H.O. und Carolin Spanier (Kühling-Gillot), Kai Schätzel sowie Johannes Hasselbach (Gunderloch) zu verdanken, dass der Riesling zwischen Nierstein und Nackenheim wieder zu neuem Leben erweckt wird. Diese Bewegung wird zusätzlich beflügelt durch das Engagement junger, aufstrebender Winzertalente wie Elisabeth Muth vom Weingut Rappenhof oder Moritz Kissinger, der kürzlich eine Parzelle im Orbel erworben hat.

Biologisch: Der Weg in die Zukunft am Roten Hang

Der Rote Hang ist aber nicht nur ein Ort für Weinliebhaber, sondern auch ein wichtiges Symbol für die Zukunft des deutschen Weinbaus. Warum? Aufgrund der traditionell geringen Niederschläge und der bis vor kurzem hier vorherrschenden konventionellen Bewirtschaftungsmethoden vieler Weingüter ist der Hang durch die fortschreitende Klimaerwärmung zunehmend von Dürre bedroht. Um diesem Trend entgegenzuwirken, setzen einige Winzer mittlerweile auf Bewässerungssysteme. Interessanterweise beobachte ich jedoch auch eine Tendenz hin zum biologischen und sogar zum biodynamischen Weinbau. Durch das Einbringen von Stroh in die Weinberge wird beispielsweise versucht, die Feuchtigkeit im Boden zu halten. Zusätzlich wird durch das Einsäen einer Rebzeilenbegrünung der Nährstoffgehalt des Bodens angereichert. Und dies sind längst noch nicht alle Maßnahmen. Es gibt also eine Menge Aktivitäten am Roten Hang.

Bei meinem letzten Besuch Anfang Mai war dieser Wandel deutlich sichtbar. Der Hang zeigte sich lebendig und grün. Auf die Spitze treibt das sicherlich Kai Schätzel. Beim Betrachten seiner Rebzeilen fühlt man sich wie im Dschungel. Die roten, vertrockneten Bodenwüsten, die einst durch Glyphosat zerstört wurden, sind nun zum Glück selten geworden. Am Roten Hang kann man deutlich sehen, wie die Winzer Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Eine wichtige und zugleich ermutigende Entwicklung.

Weinberge

Große Berühmtheit hat der Roter Hang durch Namen wie Hipping, Pettenthal und Rothenberg erhalten. Die Weine aus dem Hipping werden seit Jahrzehnten am englischen Königshaus serviert. Zuletzt schafften es Weine aus dem Hause Keller auf die Weinkarten zu Ehren des Krönungsjubiläums der Queen oder der Geburt von Prinz George. Die früher vornehmlich süß bis edelsüß ausgebauten Weine aus dem Rothenberg des Weinguts Gunderloch erlangten im 20. Jahrhundert großen Ruhm. Heute knüpft Johannes Hasselbach mit seinen sehr trocken ausgebauten Weinen aus selbiger Lage an die großen Errungenschaften seiner Vorfahren an.

Aber was macht diese Lagen so besonders? Wo genau liegen die Unterschiede? Sind sie überhaupt erkennbar? Lasst uns diesen und weiteren Fragen auf den Grund gehen.

Die Rebfläche am Roten Hang beträgt ungefähr 180 Hektar. Sie verteilt sich auf die VDP klassifizierten großen Lagen Rothenberg (14 Hektar) und Fenchelberg (0,3) in der Gemarkung Nackenheim sowie auf die fünf Kernlagen Ölberg (11,4), Zehnmorgen (1,2), Hipping (12,3), Pettenthal (20,7) und Brudersberg (1,2) in Nierstein. Hinzu kommen die Lage Orbel (9) an der südlichen Grenze des Roten Hangs sowie der direkt an Nierstein grenzende Kranzberg (0,8) und Glöck (2,0). Die angrenzenden Weinberge sind vornehmlich Ortsweinlagen, auf die ich in diesem Artikel nicht näher eingehen werde.

Rothenberg – außergewöhnlich. wertvoll.

Es ist die nördlichste und eine der steilsten Lage im Roter Hang und grenzt direkt an die Gemeinde Nackenheim. Womöglich hat der Rothenberg seinen Namen vom „Rotliegenden“ Boden. Hier soll der Boden gar am rötesten sein. Die Lage wurde bereits 1364 mit dem Namen „in dem Rode“ urkundlich erwähnt.

Fenchelberg – kühl. würzig. elegant.

Die Parzelle Fenchelberg, an der Grenze zwischen Rothenberg und Pettenthal gelegen, fungiert als Bindeglied zwischen beiden Lagen. Hier entspringen natürliche Quellen, die die Reben das ganze Jahr über mit Feuchtigkeit versorgen. Der Weinberg liegt etwas zurückgesetzt von der Hauptflanke des Roten Hanges und wird von schattenspendenden Bäumen und einem Schilfband begrenzt, was eine kühlere Lage schafft.

Ölberg – tiefgründig. kraftvoll. fruchtig.

Oberhalb von Nierstein gelegen in Richtung Schwabach erstreckend. Der Boden besteht aus Rotliegendem, einem eisenoxidhaltigen Tonschiefer. Die Lage erstreckt sich von 80 bis 170 Metern Höhe und umfasst steile Abschnitte mit Steigungen zwischen 65 und 120 Prozent. Obwohl die Südausrichtung und die Steilheit zu intensiver Sonneneinstrahlung führen, ist die Lage manchmal stärkeren Winden ausgesetzt. Der Name „Ölberg“ wird vermutlich aufgrund der öligen Konsistenz der hier produzierten Weine vergeben.

Zehnmorgen – außergewöhnlich. kalkig.

Die extrem kleine Lage erstreckt sich vom flachen Rheinufer bis zu steileren Lagen und wird von der Morgensonne beschienen. Trotz des roten Bodens im Roter Hang ist der Boden hier untypisch tonreich mit Kalksteinbrocken. Der Rhein reflektiert Sonnenlicht und bringt kühlende Luft. Der Name der Lage stammt von der historischen Flächenangabe „zehn Morgen“.

Hipping – fein. verwittert.

Der Name des Weinbergs ist seit 1753. Seine Herkunft bleibt jedoch unklar. Am Hang liegt das Gestein in etwa einem Meter Tiefe, während sich am Hangfuß über Jahrhunderte eine fünf bis acht Meter dicke Schicht feiner Roterde aus der Erosion angesammelt hat. Durch die frühzeitige Erwärmung am Tag (Ostlage) und die gute Wärmespeicherfähigkeit des Bodens entsteht, zusammen mit der Nähe zum wärmespeichernden Rhein und der Abschirmung gegen die vorherrschenden Westwinde, ein hervorragendes Kleinklima. Dies macht den Standort ideal für präzise, fein-würzige Weine.
Der Hipping hat zwei Gesichter: eines nach Osten und ein weiteres, das steil in der südlichen Mittagshitze steht. Der Boden dort ist feiner verwittert als im Pettenthal.

Pettenthal – erhaben. steil. heiß.

Das Pettenthal ist der steilste Abschnitt des Roten Hangs und die bekannteste sowie begehrteste Lage in Nierstein. Der Boden ist hier besonders karg und felsig. Der Hang beschreibt um den Brudersberg eine 180°-Halbkurve und ist den ganzen Tag über der Sonne ausgesetzt. Der Name Pettenthal wurde bereits 1753 als Katastername erwähnt und leitet sich vermutlich von den in dieser Gegend beobachteten Krötenwanderungen (Petten) zu den höher gelegenen Quellen und Sumpflöchern ab. Eine angrenzende Fläche trägt den Namen „Stumpe Loch,“ was auf Sumpfloch zurückzuführen ist.

Brudersberg – warm. würzig.

Eine einzigartige, nach Süden orientierte Lage im Roter Hang. Mit einem Hektar Fläche liegt sie geschützt vor Nordwinden in einem kleinen Seitental. Der Boden besteht aus rotem, eisenhaltigen Tonschiefer. Die steile Neigung von 70 Prozent und die Sonnenintensität, verstärkt durch den lichtreflektierenden Rhein, schaffen ideale Bedingungen für den Weinbau. Der Name stammt von der Familie des Haxthäuser Hofes, deren vier Brüder den Besitz von 1804 bis 1835 teilten.

Orbel – kräftig. gehaltvoll.

Die Lage liegt am südwestlichen Ende der Roter Hang Lagen und ist die am weitesten vom Rhein entfernte. Diese Steillage oberhalb des Niersteiner Ortsteils Schwabsburg ist von bis zu 60 Prozent Steigung geprägt. Die Lage ist nach Süden ausgerichtet, was den Reben maximale Sonneneinstrahlung bietet, während der Rhein kühle Luft mit sich bringt und als natürliche Klimaanlage wirkt. Die Bezeichnung „Orbel“ wurde erstmals 1386 in den Ortschroniken erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich der Name »Orbel« aus dem ursprünglichen »Ölbel« (kräftiger, vierschrötiger Kerl) entwickelt. »Orbel« nimmt damit Bezug auf die körperreichen, gehaltvollen Weine, wie sie für diese Lage typisch sind.

Kranzberg – Kirchberg.

Erstreckt sich in südlicher Richtung zum Rhein und Nierstein hin und grenzt an die Niersteiner Bergkirche. Die Böden sind hauptsächlich aus Lößlehm auf Kalkstein und sandigem, tonigem Lehm am unteren Ende. Obwohl die Lage größtenteils geneigt ist, ist sie nicht steil. Das Klima wird hauptsächlich von direkter Sonneneinstrahlung geprägt, verstärkt durch den Rhein, der gleichzeitig kühlende Luft bringt. Die Lage wurde erstmals 1418 als „off dem Crausberge“ urkundlich erwähnt, und es wird vermutet, dass der Name auf eine Person hinweist.

Glöck – clos. tiefgründig.

Am südlichen Ende des Roten Hangs gelegen. Der Boden besteht hauptsächlich aus leichten Lößlehmböden und sandigem, tonigem Lehm. Die Lage hat eine moderate Steigung von 30 Prozent und ist vollständig von einer alten Mauer umgeben, was sie zu einer „Clos-Lage“ macht. Diese Mauer dient als Windschutz und Wärmespeicher, was das Mikroklima begünstigt. Die lange Historie der Lage ist eng mit Nierstein und der Kirche verbunden, was sie zu einer der ältesten Weinbergslagen Deutschlands macht, obwohl der genaue Ursprung des Namens Glöck unklar bleibt.

Anmerkung:
Rehbach – Großlage.
Der Name ist seit dem 18. Jahrhundert überliefert. Er hat sich vermutlich aus dem alten Namen für das Bächlein dort entwickelt, der »Rodebach«, und bezieht sich auf das intensiv rot gefärbte Wasser dieses Baches nach Gewittergüssen, das den Rhein linksseitig bis über Bingen hinaus färbte. Heute ist die Lage eine sogenannte „Großlage“ und fasst die Einzellagen Pettenthal, Brudersberg und Hipping zusammen.

Die einzigartige Kombination aus Terroir, Geschichte und Weintradition macht den Roten Hang zu einer Region, die es zu entdecken und zu schätzen gilt.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

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