Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) hat im Laufe seiner über hundertjährigen Geschichte eine bewegende Reise durch die Welt des deutschen Weinbaus unternommen. Geprägt von Tradition, Innovation und stetigem Wandel. Gegründet vor mehr als einem Jahrhundert, hat sich der VDP bis heute eine einzigartige Rolle in der deutschen Weinwelt erarbeitet. Dabei hat er Qualitätsstandards gesetzt, Klassifikationssysteme etabliert und das verloren gegangene Renommee deutscher Weine wiederbelebt.

Max Kaindl, 23. April 2024
Lesezeit etwa 9 Minuten

VDP: Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter

Eine Geschichte von Tradition, Klassifikation und stetigem Wandel

Gründung und die Herausforderungen der Nachkriegszeit des 1. Weltkriegs

Die Anfänge des VDP reichen zurück in eine Zeit, in der deutsche „Naturreine“ weltweit höchstes Ansehen genossen. Kein angesehener Weinhändler und kein namhaftes Hotel konnte es sich damals leisten, „Originalabfüllung“ aus den Kellern der Naturweinversteigerer nicht auf der Weinkarte zu führen. Gegründet im Jahr 1910 als „Verband Deutscher Naturweinversteigerer“ (VDNV), war er ein Zusammenschluss mehrerer regionaler Verbände von damals sogenannten „Naturweinversteigerern“: Mosel-Saar-Ruwer, Rheingau, Rheinhessen und (Rhein)Pfalz.

In den 1920er Jahren, einer Zeit wirtschaftlicher Instabilität und politischer Unruhen, stand der deutsche Weinbau vor großen Herausforderungen. Die politischen Ereignisse, wie die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen im Jahr 1923, hatten auch Auswirkungen auf den Weinhandel. So führte die Inflation zu einer steten Geldentwertung. Sanktionen der Interalliierten Rheinlandkommission führten zu Ausweisungen und Einschränkungen im Weinhandel, was die Situation für die Weinbauern weiter erschwerte. Trotz dieser Herausforderungen versuchte der preußische Staat, den Absatz von deutschen Weinen zu fördern, um die Branche zu unterstützen. Die Werbekampagne „Trinkt deutschen Wein“ und die finanzielle Unterstützung von Publikationen über den Weinbau waren dabei wichtige Schritte, um das Image deutscher Weine zu stärken. Dennoch traten unter Druck der „Absatznot“ zahlreiche Gründungsmitglieder aus den Regionalvereinen des VDNV aus. Sie hofften dem Handel unter Umgehung der Versteigerungen Naturweine im Fass und in Flaschen anbieten und „verbesserte“ Weine unter eigenen Namen vermarkten zu können.
Sidenote: Bis in die 1930er Jahre war eine Vermarktung der Weine in ganzen Fässern weit verbreitet. Bis dahin füllten nur wenige, namhafte Weingüter ihre Weine in Flaschen.

1925 wurde das bis heute bestehende Symbol des Verbandes kreiert. m Zuge der ersten Reichsausstellung deutscher Weine entwarf der Kölner Grafiker Franz-Josef Lichtenberg einen stilisierten Reichsadler, der Trauben als Brustschild trug. Eine der wenigen bedeutenden Momente des VDNV in dieser Zeit war die Zusammenstellung einer bis dato unerreichten Kollektion deutscher Spitzenweine zum 80. Geburtstag des Reichspräsidenten von Hindenburg im Jahr 1927.

Nach Jahren wirtschaftlicher Instabilität folgte 1932 dann der Tiefpunkt für den deutschen Weinbau und vielleicht auch den VDNV. Während Deutschland mit Notstandsmaßnahmen regiert werden musste, verfielen die Weinpreise derart, dass viele Fässer auf den Versteigerungen keinen Zuschlag mehr erhielten. Weingüter konnten vielerorts mit den Erlösen lediglich ihre Grundkosten decken. Daraufhin verließen wiederum einige Mitglieder den Verband.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

Im Schatten des Nationalsozialismus

Die Zeit der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 war eine dunkle Periode in der Geschichte Deutschlands, die auch den Weinbau und den VDNV stark beeinflusste. Während dieser Zeit wurden die deutschen Weinbauern mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die von politischer Einflussnahme bis hin zu wirtschaftlichen Restriktionen reichten.

Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 begannen die Nationalsozialisten, den deutschen Weinbau von jüdischen Einflüssen zu „säubern“. Juden wurden aus den Standesorganisationen des Weinbaus verdrängt, was zu einer Entfremdung und Diskriminierung in der Branche führte. Obwohl jüdische Händler und Kommissionäre zunächst nicht mit einem Berufsverbot belegt wurden, war ihr bis dato hoher Einfluss sowie ihre Existenzgrundlage bedroht.

Die Nationalsozialisten verfolgten eine Politik der „Arisierung“, bei der jüdische Unternehmen und Besitztümer „arisiert“ und in die Hände „arischer“ Deutscher überführt wurden. Dies betraf auch den Weinhandel und die Weinwirtschaft, wo jüdische Weinhändler und -kommissionäre wirtschaftlich ruiniert wurden. Die Mitglieder des VDNV wurden angehalten, sich an diesen Maßnahmen zu beteiligen, was zu einer Spaltung und Unsicherheit innerhalb des Verbandes führte.

Die Eingliederung des Verbands in den Reichsnährstand im Jahr 1935 war ein weiterer Schritt der Nationalsozialisten, um die Kontrolle über landwirtschaftliche Organisationen zu festigen. Der Vorsitzende Albert von Bruchhausen wurde durch einen NSDAP-Kreisbauernführer ersetzt, was die politische Einflussnahme auf den Verband verdeutlichte. Trotz dieser Zwänge und Restriktionen durfte der VDNV seine Aktivitäten aufrechterhalten, wenn auch unter Auflagen. Und warum? Man wollte wohl das internationale Prestige des deutschen „Naturweins“ nicht aufs Spiel setzen. Bis 1940 konnten die alljährlichen Versteigerungen aufrechterhalten werden. Diese wurden nach dem Krieg 1949 wieder aufgenommen.

Zum Ende des Krieges waren viele Weingüter und -berge verwüstet. Durch alliiertes Bombardement wurden die Zentren von Mainz und Bingen, den Hauptstädten des Weinhandels, größtenteils zerstört Die Besatzungsmächte beschlagnahmten Wein zur Versorgung ihrer Truppen und setzten einzelne Weine im Interzonenhandel so wie im Außenhandel als Tauschmittel für lebenswichtige Güter ein.

Aufbau und Aufschwung in der Nachkriegszeit

In der Nachkriegszeit von 1945 bis 1970 stand der VDNV vor der Herausforderung, den deutschen Weinbau nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs wieder aufzubauen und zu revitalisieren. Trotz der schwierigen Umstände und hitzigen internen Auseinandersetzungen gelang es dem Verband, wichtige Errungenschaften zu erzielen und den deutschen Qualitätsweinbau zu fördern.

Durch die Einführung erster kontrollierter Qualitätsstandards und die Förderung traditioneller Anbaumethoden versuchte man, der durch das Wirtschaftswunder befeuerten Nachfrage nach einfachen und vor allem süßen „Konsumweinen“ entgegen zu wirken. Nichtsdestotrotz hatten die Weingüter in den 1950ern mit einer Serie kleineren und Missernten zu kämpfen. Erst dank des Jahrhundertjahrgangs 1959 gelang es den Mitgliedern des VDNV sich wieder sichtbar auf internationaler Bühne zu zeigen.

Qualitätsoffensive und Internationalisierung

Die Einführung des neuen Weingesetzes 1971 hatte weitreichende Auswirkungen auf den Weinbau und den Verband, die es lohnt genauer zu betrachten.

Es markierte einen Wendepunkt im deutschen Weinbau. An die Stelle des Begriffs „Naturwein“ trat nun das System der „Qualitätsweine mit Prädikat“. Daraufhin erwägten der VDNV sowie einzelne Regionalverbände sich aufzulösen. Durch eine leidenschaftliche Rede von Peter von Weymarn, Besitzer des Niersteiner Weinguts Heyl zu Herrnsheim, gelang es in letzter Minute, die Auflösung des traditionsreichen Verbandes zu verhindern.

Das Ergebnis: Ein neuer Sitz, ein neuer Name (Verband Deutscher Prädikatsweingüter, VDP), eine neue Satzung, ein neuer Präsident (Peter von Weymarn) und höhere Anforderungen an die Mitgliedschaft. Kurzum, eine Rundumerneuerung.

In den folgenden Jahren nach 1971 engagierte sich der VDP verstärkt in der Vermarktung deutscher Spitzenweine im In- aber vor allem Ausland. Vor allem die Etablierung der Mainzer Weinbörse als Fachmesse für deutschen Spitzenwein trug hierzu maßgeblich bei. Die Einführung strengerer Erzeugungsregeln, die Verpflichtung zur Führung des Verbandszeichens auf den Kapseln der Weine und die regelmäßige Betriebskontrolle waren zudem entscheidende Schritte auf dem Weg zu einer einheitlichen Qualitätsstruktur innerhalb des Verbandes. So versuchte man, dem Trend des Preis- und Ansehensverfalls deutscher Weine etwas entgegenzuwirken. Aufzuhalten war dieser jedoch nicht.

Einführung der VDP Lagenklassifikation

Ein bedeutender Meilenstein in der Geschichte des VDP war die Selbstbeschränkung im Jahr 1994, bei der auf die Verwendung von Großlagen bei der Bezeichnung der Weine verzichtet wurde. Dieser Schritt unterstrich das Bestreben des Verbandes, die Einzigartigkeit und Qualität der deutschen Weinbergslagen zu betonen und sich von der Masse billig produzierter Großlagen Weine abzuheben. Gleichzeitig wurde ein größerer Schwerpunkt auf die selektive Handlese gesetzt. Sie war die Antwort auf den zunehmenden Einsatz von Vollerntern eingeführt und für eine hohe Qualität der Trauben und damit der Weine sorgen.

Unter der aufopfernden Führung von Verbandschef Michael Prinz zu Salm-Salm entwickelte der VDP ebenfalls ab 1994 eine eigene Lagenklassifikation. Der Prozess war durchaus mühsam und führte zu einigen internen Verwerfungen. Das wohl berühmteste Beispiel war Bernhard Breuer. Der Besitzer des damals schon weltberühmten Weinguts Breuer aus dem Rheingau verlies den Verband, da ihm die Fortschritte hin zu einer qualitativ hochwertigen Klassifikation innerhalb des Verbandes nicht schnell genug vorangingen. Während der Mitgliederversammlung 2002 in Castell wurde dann nach teils heftigen Diskussionen ein erstes verbandsinternes Klassifikationssystem beschlossen. Das Ergebnis war eine dreistufige Pyramide bestehend aus Guts-, Orts- und Lagenweinen, den sogenannten Ersten Gewächsen.

Ein weiterer zentraler Beschluss war das Verbot der Nennung des Prädikats auf dem Etikett trockener Weine. Dies führte ebenfalls zu Verwerfungen innerhalb der Mitglieder. Die Konsequenz war der Austritt renommierter Weingüter, wie Koehler-Ruprecht aus der Pfalz, die das bestehende Prädikatssystem auch für deren trockene Weine beibehalten wollten. Dennoch bleibt festzuhalten: Die Einführung dieser Lagenklassifikation legte den Grundstein für die Wiedergeburt deutscher Weine als Spitzenprodukte und führte zu ihrem wieder erstarktem Renommee der letzen 20 Jahre.

Anpassen. Verbessern. Weiterentwickeln.

In den folgenden Jahren entwickelte der VDP sein Klassifikationssystem kontinuierlich weiter. 2012 wurde das 3-stufige System durch die Aufnahme der VDP.ERSTE LAGE in eine 4-stufige Pyramide erweitert. Das Erste Gewächs wurde zudem in VDP.GROSSES GEWÄCHS umbenannt. Diese Präzisierung in der Klassifikation ermöglichte eine weitere Profilierung der einzelnen Lagen sowie verbesserte Kommunikation der unterschiedlichen Weinqualitäten und Herkünfte.

rotz dieser positiven Entwicklungen war der VDP auch mit zunehmenden Herausforderungen konfrontiert. Durch die Hinzunahme weiterer Bezeichnungen, wie VDP.AUS ERSTEN LAGEN, wurde die Pyramide in den letzten Jahren immer komplexer und war zunehmend schwerer zu verstehen. o mancher Verbraucher wünscht sich bis heute eine Rückkehr zur ursprünglich so eindeutigen 4-stufigen Pyramide. Zudem gab es immer wieder interne Konflikte und Kritik an der Exklusivität des Verbands.

Diese Herausforderungen veranlassten ihn, seine Strategien zu überdenken und seine Mitglieder enger zusammenzubringen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit innerhalb des Verbandes und unter den Mitglieder ist eines der Resultate dieses Prozesses. Die einheitliche Verwendung von leichten Glasflaschen bei Gutsweinen (und zukünftig auch anderen Kategorien) sowie die nachhaltige Zertifizierung (sozial, ökonomisch und ökologisch) aller VDP Betriebe bis 2025 sollten dabei die beiden Hauptsäulen bilden. Ein weiterer Schritt war die intensivere Auseinandersetzung mit deutschem Sekt, resultierend im 2020 veröffentlichten VDP.SEKT.STATUT. Mehr zu diesem Thema folgt in Kürze.

Die Überarbeitung der Lagenklassifikation: Wandel in Zeiten des Klimawandels

Nach der Feier des 20 jährigen Jubiläums des VDP.GROSSES GEWÄCHS im Jahr 2023 kündigte der VDP die Aufarbeitung der eigenen Klassifikations-Geschichte an. So sollen die bisherigen Kriterien und Unterlagen, die damals auf eine Erstanerkennung der Lagen zielten, aufgearbeitet, zusammengefasst und um neue Erkenntnisse ergänzt werden. Es bleibt abzuwarten, wie es dem VDP gelingt, die Tradition und das Renommee historischer Lagen mit den sich schnell ändernden klimatischen Bedienungen und damit einhergehenden Veränderungen der Lagengüte in Einklang zu bringen. Eine zeitgemäße Klassifikation verleiht eben keine Auszeichnungen bis in alle Ewigkeit. Zumindest wenn man die angefangene Erfolgsgeschichte der VDP Klassifikation fortschreiben möchte.

Die Geschichte des VDP ist geprägt von Höhen und Tiefen, von Erfolgen und Herausforderungen. Trotzdem hat der Verband es in mehr als Einhundert Jahren geschafft, sich als weltweit führende Instanz für deutsche Qualitätsweine zu etablieren und die Vielfalt und Einzigartigkeit der deutschen Weinlandschaft zu bewahren. Die Umstellung aller Betriebe auf nachhaltig zertifizierten Weinbau, die Umsetzung des VDP.SEKT.STATUTs sowie die Überarbeitung der Lagenklassifikation sind dabei wichtige aber auch notwendige Initiativen, um auch in Zukunft die Speerspitze des deutschen Weinbaus zu bilden. Ob und inwieweit dies gelingt, bleibt abzuwarten.

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