Es ist Zeit, ehrlich zu sein. Chardonnay boomt. Kaum eine Rebsorte hat in den letzten zehn Jahren so viel Aufmerksamkeit bekommen – von ambitionierten Jungwinzern, von Händlern, von Sommeliers. Der internationale Glanz des Burgunders lockt, und plötzlich will jeder zeigen, dass er’s kann. Deutschland, das neue Meursault? Schön wär’s.

Max Kaindl, 27. Oktober 2025
Lesezeit etwa 4 Minuten

Warum es in Deutschland so schnell kein Chardonnay VDP.GG geben sollte

Die Diskussion im VDP: Verlockung oder Verirrung?

In den letzten Monaten – auf Messen, Verkostungen, Winzerbesuchen – höre ich immer öfter dieselbe Überlegung: Der VDP denkt darüber nach, Chardonnay als VDP.GROSSES GEWÄCHS zuzulassen. Vor allem in der Pfalz scheint der Wunsch groß, den nächsten Schritt zu gehen. In Baden gibt es Chardonnay GGs bereits – und genau das halte ich für einen Fehler. Denn das Signal, das damit gesendet wird, ist zu früh, zu breit und zu riskant. Denn so weit sind wir noch lange nicht.

Ausnahmen bestätigen die Regel – aber sie sind rar

Ja, es gibt Ausnahmen – handwerklich brillant, charakterstark, mit Tiefe und Energie. Aber sie sind rar, sehr rar. Und genau das ist das Problem: Wir haben noch kein flächendeckendes Qualitätsniveau erreicht, das eine VDP.GROSSE LAGE für Chardonnay rechtfertigen würde. Noch nicht.

Warum? Weil Chardonnay in Deutschland noch in der Lernphase steckt. In der Breite fehlt uns das feinfühlige Gespür für Balance. Zu oft wird Holz als Abkürzung zu Komplexität verstanden – nicht als Werkzeug. Das Ergebnis: zu viel Toast, zu viel Vanille, zu viel Wucht. Der Wein verliert das, was ihn groß macht: Spannung, Harmonie, Länge.

Qualität braucht Zeit, nicht Etiketten

Aber vielleicht liegt das Problem tiefer. Vielleicht beginnt es schon im Weinberg. Chardonnay ist eine Rebsorte, die gnadenlos spiegelt, was man ihr gibt. Wer sie zu üppig erzieht, bekommt Breite statt Präzision. Wer sie zu früh liest, bekommt Härte statt Finesse. Und wer dann noch den falschen Ausbau wählt, hat schnell ein Glas ohne Seele.

Natürlich ist es positiv, dass sich immer mehr Spitzenwinzer intensiv mit Chardonnay beschäftigen. Die Entwicklung der letzten Jahre ist beeindruckend – qualitativ wie stilistisch. Aber das darf nicht heißen, dass wir voreilig den nächsten Schritt gehen.

Wenn Größe zur Gefahr wird

Denn wenn der VDP jetzt die Tür für Chardonnay GG weit öffnet, wird sie kaum wieder zugehen. Dann entstehen zwangsläufig auch Weine, die den Namen „Grosses Gewächs“ nicht tragen sollten. Mittelmaß in großen Lettern – das kann sich keine Rebsorte leisten, schon gar nicht eine, die international so hart umkämpft ist.

Und eines wird in der Diskussion häufig übersehen: Eine VDP.GROSSE LAGE, die für Riesling klassifiziert wurde, ist nicht automatisch auch eine VDP.GROSSE LAGE für Chardonnay. Terroir ist kein Freifahrtschein. Was dem Riesling Spannung, Präzision und Kühle schenkt, kann den Chardonnay schnell hart und karg wirken lassen. Umgekehrt kann ein warmer, tiefer Boden, der Chardonnay Fülle und Schmelz verleiht, beim Riesling jede Eleganz rauben. Herkunft ist kein Copy-Paste-Prinzip – sie muss für jede Rebsorte neu gedacht werden.

Verantwortung statt Schnellschuss

Der VDP hat beim Riesling über Jahrzehnte Maßstäbe gesetzt, weltweit. Dieses Vertrauen gilt es zu schützen. Ein Chardonnay GG, das international bestehen will, muss sofort abliefern – Tiefe, Lagerfähigkeit, Herkunft, Charakter. Kein „wir entwickeln uns dahin“. Dafür ist das System zu stark, die Erwartungshaltung zu groß.

Blicken wir nach Österreich: Die ÖTW-Winzer haben gezeigt, wie man die Einführung einer Klassifikation richtig machen kann. Schritt für Schritt. Erst Erfahrung sammeln, dann klassifizieren. Erst verstehen, was funktioniert, dann definieren, was groß ist. Warum sollten wir es anders machen?

Plädoyer für Geduld

Ich plädiere für Geduld – nicht aus Angst, sondern aus Respekt. Lasst uns noch zehn, fünfzehn Jahre forschen, lernen, verkosten. Lasst uns sehen, wie diese Weine reifen, wie sie sich entwickeln. Dann können wir mit Chardonnay GGs auf den Markt gehen, die einschlagen. Die begeistern. Die zeigen, dass Deutschland auch hier Weltklasse kann.

Aber bis dahin sollten wir eines nicht tun: uns selbst zu früh gratulieren. Denn wer zu schnell rennt, stolpert meist über das eigene Ego.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • I beg to differ…
    Ein Argument: Salwey Chardonnay Steingrubenweg GG. Gibts schon. Und der ist Bombe. Wenige können Burgund wie Konrad Salwey- aber Peter Wagner, Aldingers Marienglas oder auch Fürst… kann den Artikel nicht nachvollziehen.

    Antworten
    • Hi Uli,

      um meinen Punkt nochmal klar zu stellen. Ich sehe das ganz ähnlich wie du: Die Spitze – und damit meine ich die Spitze der VDP-Winzer – kann heute schon großartige Chardonnays machen. Salwey, Fürst, Huber – das ist absolute Klasse, keine Frage. Aber ein VDP.GROSSES GEWÄCHS ist eben kein Einzelfall-Siegel für die Top 5, sondern ein kollektives Versprechen. Wenn der VDP Chardonnay als GG zulässt, dürfen es theoretisch alle Betriebe im Verband machen – und da sehe ich aktuell noch zu viel Streuung.

      Und was man dabei nicht vergessen darf: Einige der besten deutschen Chardonnays stammen im Moment nicht aus VDP-Betrieben – Peter Wagner ist da ein perfektes Beispiel. Das zeigt, wie dynamisch sich das Thema gerade außerhalb der etablierten Strukturen entwickelt. Genau deshalb finde ich: lieber noch ein bisschen Erfahrung sammeln, statt das System zu früh zu öffnen und damit zu verwässern.

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  • Christof Drießner
    Oktober 28, 2025 12:34

    Wir haben schon einmal darüber gesprochen. Ganz toller Bericht. Ich bin zu 100 Prozent deiner Meinung!

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    • Danke dir, Christof! 😊 Ich erinnere mich gut an unser Gespräch. Ich glaube wirklich, dass wir Chardonnay in Deutschland in der Breite erst noch richtig verstehen müssen, bevor wir ihn auf GG-Niveau heben. Natürlich gibt es mittlerweile herausragende Einzelbeispiele. Aber im der Breite reicht das Grundniveau aus meiner Sicht noch nicht. Die Entwicklung ist spannend, aber ein bisschen Geduld wird sich am Ende auszahlen.

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  • Dr. Frank Siebdrat
    Oktober 28, 2025 14:47

    Hi Max, ich empfand Deinen Titel zunächst als provokant, weil ich ebenfalls großer Fan von Huber, Fürst, Salwey, Seeger etc. bin. Aber ich bin total in Deinem Lager. Wir haben in Deutschland diese Qualität noch nicht in der Breite. Und das VDP Qualitätssiegel ist ein großes Versprechen und damit ein Vertrauensvorschuss, den man unbedingt schützen muss. Von daher wird das Chardo GG auch außerhalb von Baden kommen, aber noch nicht jetzt. Vor allem wäre mir wichtig, dass über Jahrgänge hinweg konstant abgeliefert wird, wo großartige Winzer wie Jonas Seckinger auf dem Weg hin sind, aber auch noch ein paar Jahre Experimente durchführen dürfen und vielleicht auch müssen.

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    • Danke dir, Frank – das freut mich total zu lesen! 🙌
      Genau so sehe ich’s auch: Es geht nicht darum, großartige Winzer oder Regionen kleinzureden – ganz im Gegenteil. Leute wie Huber, Fürst, Salwey und Co. zeigen ja gerade, wohin die Reise gehen kann. Aber wie du sagst: Ein VDP.GG ist ein Qualitätsversprechen, kein Experimentierfeld. Und dafür braucht es Konstanz über Jahrgänge hinweg, nicht nur einzelne Highlights.

      Ich finde es super, dass Winzer wie Jonas Seckinger außerhalb des VDP diesen Weg so mutig und kompromisslos gehen – mit allen Versuchen, Umwegen und Fortschritten. Das ist wichtig! Nur sollten wir genau das zulassen, bevor wir klassifizieren. Wenn wir das in Ruhe reifen lassen, kann da etwas richtig Großes entstehen. 🍷

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  • @reserveronny
    Oktober 31, 2025 22:55

    Haben ja schon via DM dazu geschrieben, sehe es genauso wie du und kann mich hier der Diskussion nur anschließen: VDP = großes Versprechen, das liefern Betriebe wie Huber und Co. heute schon, und sicher gibt es auch VDP-Betriebe außerhalb Badens, die es grundsätzlich „verdient“ hätten, ihren Chardo als GG zu vermarkten (Fürst, Jülg etc.). Aber auch hier sehe ich es wie du: gut Ding will Weile haben. Und was außerhalb des VDPs an Chardonnays derzeit kommt – auch hier schließe ich mich an – lässt mich voller Vorfreude auf die nächsten Jahre schauen. Seckinger und Wagner wurden bereits genannt, ich schmeiße noch Andres, Berizzi, Scheuermann, Kissinger(-Bähr) und Held (und viele mehr) in den Ring. Das macht doch definitiv Bock auf die Zukunft, oder? Ob GG oder nicht, ist mir da herzlichst egal.

    Liebe Grüße 🫶
    Dominik

    Antworten
    • Danke dir, Dominik – ja, absolut! 🙌
      Ich fand unser Austausch dazu schon super spannend – und du bringst’s hier perfekt auf den Punkt. Dieses „VDP = großes Versprechen“ ist für mich der zentrale Gedanke. Es geht ja gar nicht darum, irgendwem etwas abzusprechen, sondern darum, das System und seine Glaubwürdigkeit zu schützen.

      Und ja, genau wie du sagst: Es gibt heute schon eine ganze Reihe an Betrieben – teils im, teils außerhalb des VDP –, die beim Thema Chardonnay richtig Feuer machen. Wagner, Seckinger, Andres, Berizzi, Kissinger-Bähr, Held… das ist eine neue, eigenständige Generation, die das Thema neu denkt, mit Charakter, ohne Kopieren.

      Das macht richtig Bock auf die nächsten Jahre – ganz unabhängig vom Etikett.

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