Es gibt Städte, die man besucht – und solche, die man erlebt. San Sebastián gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Diese Stadt packt dich – leise, aber gnadenlos. Kaum angekommen, riechst du das Meer, spürst den Wind vom Atlantik, hörst das Stimmengewirr aus den Bars der Altstadt – und plötzlich bist du mittendrin. Drei Tage hier fühlen sich an wie ein Kurzurlaub fürs ganze System.

Max Kaindl, 27. Oktober 2025
Lesezeit etwa 3 Minuten

San Sebastián –
Drei Tage im Paradies für Genießer

Essen als Lebenskonzept

Ich bin hergekommen, um den Food-Hotspot Nordspaniens zu erleben. Aber eigentlich – das wurde mir schnell klar – erlebst du hier mehr als nur Essen. Du lernst eine Kultur kennen, die Genuss zu einem Lebenskonzept erhoben hat. Die Basken essen nicht, um satt zu werden. Sie essen, um zu leben.

Die Magie der Pintxos-Bars

Das Zentrum dieser Kultur sind die Pintxos-Bars. Enge, laute Räume voller Energie, überall Stimmen, Gläser, Musik. Du kämpfst dich an die Theke, greifst dir einen kleinen Teller, und schon stehst du vor einem Meer aus Mini-Kunstwerken: geröstetes Brot mit Tintenfisch und Paprika, cremige Bacalao-Creme, Anchovis auf eingelegter Guindilla – die legendäre Gilda, salzig, pikant, perfekt. Ich schwöre, ich habe an diesen drei Tagen keine einzige schlechte Kleinigkeit gegessen. Nicht eine.

Wein, wie er gedacht ist

Und ja, das Ganze folgt keinem klaren System. Du bestellst, probierst, trinkst, bezahlst irgendwann. Kein Kellner, der fragt, ob alles passt – weil natürlich alles passt. Dazu ein Glas Txakoli, dieser herrlich frische, leicht perlende Weißwein mit seiner salzigen Kante – wie gemacht für die Küche hier. Danach vielleicht ein Glas Rioja Crianza, wenn’s etwas herzhafter wird.

Natürlich kann man in dieser Stadt auch ausreichend große Weine, große Namen und die, die sich für beides halten, ins Glas bekommen. Wer jedoch den wahren Charakter, die Seele dieser Stadt entdecken möchte, sollte in das lebendige Straßenleben eintauchen – und in dessen im besten Sinne des Wortes „einfache“ Weine. Es lohnt sich. Denn genau dort liegt die Wahrheit San Sebastiáns: in einem Glas ehrlichen Txakoli, das neben dir auf dem Tresen perlt, während draußen das Leben tobt.

Es ist diese entspannte Art, mit Wein umzugehen, die ich liebe: unprätentiös, ehrlich, immer passend zum Moment.

Fine Dining? Alltag!

Was mich besonders beeindruckt hat: Es gibt keinen Bruch zwischen Fine Dining und Streetfood. In einer Stadt, die mehr Michelin-Sterne pro Einwohner hat als fast jede andere, ist das Alltagsessen genauso gut – nur lauter, direkter, echter. Du stehst mit Fremden Schulter an Schulter, lachst, isst, diskutierst. Sprache ist hier Nebensache. Essen ist Kommunikation.

Schönheit zwischen Meer und Bergen

Und dann dieser Ort selbst: San Sebastián ist schön, fast unverschämt schön. Zwischen Stränden und Bergen, zwischen Altstadt und Atlantik liegt eine Gelassenheit, die süchtig macht. Morgens Kaffee am Hafen, mittags Pintxos-Tour durch die Parte Vieja, abends Sonnenuntergang an der Concha-Bucht. Mehr braucht man nicht.

Was bleibt

Was ich mitgenommen habe? Dass Genuss hier nichts Künstliches ist. Keine Pose, kein Event. Es ist Teil des Alltags. Ein Stück gegrillter Fisch kann hier mehr Glück auslösen als ein Tasting-Menü irgendwo anders. Weil er echt ist, pur, unverstellt.

San Sebastián hat mir gezeigt, dass Essen dann am meisten berührt, wenn es Charakter hat – so wie die Menschen hier. Stolz, frei, direkt – und dabei von einer Herzlichkeit, die einen sofort abholt.

Ich bin abgereist mit vollem Bauch, leichtem Kopf und dem Gefühl, etwas verstanden zu haben: Dass wahre Kulinarik nicht im Sternelokal beginnt, sondern an der Theke einer Pintxos-Bar – mit einem Zahnstocher, einem Stück Brot und einem Glas Txakoli in der Hand.

Bilder: © The Art of Riesling – Maximilian Kaindl

4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Peter Schmies
    Oktober 28, 2025 10:32

    Wunderbarer Bericht.Man möchte sofort wieder buchen und sich auf den Weg machen.
    So habe ich die Stadt auch erlebt und das zu jeder Jahreszeit!!

    Antworten
    • Vielen Dank, Peter! 😊
      Genau so ging’s mir auch – San Sebastián hat einfach dieses gewisse Etwas, das einen nicht mehr loslässt. Egal ob Sommer, Herbst oder Winter – die Stadt funktioniert zu jeder Jahreszeit. Ich freu mich, dass du sie genauso erlebt hast!

      Antworten
  • Christof Drießner
    Oktober 28, 2025 12:45

    Wenn man deine Worte liest, fühlt man sich so, als würde man in einer Bar sitzen und all das genießen was du schreibst. Wir haben uns deshalb schon etwas über San Sebastián schlau gemacht. Vielleicht klappt es ja schon nächstes Jahr.

    Antworten
    • Danke dir, Christof – das freut mich wirklich total! 🙏
      Wenn beim Lesen genau dieses Gefühl entsteht, dann hab ich wohl getroffen, was San Sebastián so besonders macht. Diese Stadt zieht einen einfach rein – mit jedem Glas, jedem Bissen, jedem Moment an der Theke. Ich hoffe echt, dass es bei euch nächstes Jahr klappt – ihr werdet es lieben!

      Antworten

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